Weltmarkt für LNG boomt - doch in Deutschland fehlt ein Hafen
Stand: 17.07.2008
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Berlin/Wilhelmshaven (dpa) - "Voslapper Groden" ist keine Käsesorte und auch kein Fischgericht. So heißt ein Industriegebiet im Norden von Wilhelmshaven, das für die deutsche Energieversorgung eine wichtige Rolle spielen könnte. Direkt an der Jade, wo die Nordsee-Fahrrinne 18 Meter tief ist, will E.ON Ruhrgas für bis zu eine Milliarde Euro Deutschlands erstes Hafenterminal für verflüssigtes Erdgas (LNG) bauen.
Andere sind schneller: Im Nahen Osten, Afrika und Asien werden neue Terminals gebaut, auf den Weltmeeren sind gut 270 Spezialschiffe unterwegs. Über 150 neue LNG-Tanker sind bestellt, davon rund 70 Prozent bei südkoreanischen Werften. Der Handel mit Liquefied Natural Gas (LNG) boomt, weil die Kosten für den See-Transport stärker gesunken sind als die Pipeline-Preise. Schon ein Viertel des Weltgasmarktes wird über LNG abgewickelt.
Um LNG zu bekommen, wird Erdgas auf minus 161 Grad Celsius gekühlt, bis es sich verflüssigt. 600 Kubikmeter Gas schrumpfen so auf einen Kubikmeter. Über 300 Meter lange Tanker können rund 200 000 Kubikmeter LNG aufnehmen. Die Ladung eines Ozeanriesen reicht aus, um 34 000 Haushalte in Deutschland ein Jahr lang mit Gas zu versorgen.
Über ein Drittel des weltweiten LNG-Angebots von rund 220 Milliarden Kubikmetern kauft Japan, weil der Inselstaat sein Gas nicht über Pipelines beziehen kann. Auch Südkorea, die USA und Spanien importieren große Mengen LNG. Die großen Verkäuferländer Katar, Indonesien, Malaysia und Algerien reiben sich die Hände. Der Gasriese Iran könnte dazukommen - wenn der Atomstreit gelöst wird.
Auch Norwegen hat eine große LNG-Anlage in Hammerfest eröffnet, deren Herzstück vom Industriegase-Konzern Linde gebaut worden ist. Das Gas aus der Barentsee ist für die nächsten 20 Jahre in aller Welt verkauft worden - Deutschland ist nicht dabei. Das große Rad drehen E.ON und RWE im LNG-Geschäft noch nicht. In Afrika haben sie sich erste Kontrakte gesichert und sind an Terminal-Projekten in Europa beteiligt.
Die Zurückhaltung hat nach Einschätzung der Energie-Expertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auch mit der guten Anbindung der heimischen Industrie an die Pipelines nach Osten zutun. "Da ja die Ostseepipeline und weitere Pipelines (Nabucco, South Stream) in Planung sind, ist man aus deutscher Sicht wohl weniger an LNG interessiert."
Dabei könne LNG einen Schub für mehr Wettbewerb auslösen. "Mit den langfristigen Lieferkontrakten, die ja insbesondere aufgrund der Pipelines geschlossen werden, verhindert man Wettbewerb. LNG könnte diesen Kreis durchbrechen", sagt Kemfert, die Bundesregierung und EU-Kommission berät. Noch gibt es keinen globalen Gas-Markt.
Gas wird in Europa und Asien nicht frei gehandelt, sondern ist an den Ölpreis gekoppelt. Russland ist auf Jahrzehnte an Lieferverträge mit Europa gebunden. Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Produzenten und Abnehmern festigen die starren Pipeline-Systeme, über die heute noch der Großteil der Gaslieferungen abgewickelt wird.
Auch LNG wird mit langfristigen Lieferverträgen verkauft. Experten erwarten, dass künftig mehr an der Börse zum täglichem Höchstgebot gehandelt wird (Spotmarkt). Wie beim Öl könne eines Tages sogar ein Gas-Weltmarkt mit einheitlichen Preisen entstehen. Wann am "Voslapper Groden" in Wilhelmshaven der erste LNG-Supertanker anlegt, ist offen. Vielleicht 2012. Auf eine 50:50-Wette wollte sich ein E.ON-Sprecher nicht einlassen.