Warum müssen E-Autos künstlich lauter werden?
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Hedielberg – Elektroautos gelten als sauber, sparsam und leise. Doch mit dem lautlosen Fahren ist es bald vorbei. Grund dafür ist eine EU-Verordnung, die zum 1. Juli 2019 in Kraft tritt. Diese Verordnung schreibt vor, dass E-Autos zukünftig in einigen Situationen absichtlich lauter werden sollen, um andere Verkehrsteilnehmer zu schützen.
E-Autos fahren sehr geräuscharm. Insbesondere beim Anfahren, bei geringen Geschwindigkeiten sowie im Rückwärtsgang sind batteriebetriebene Fahrzeuge so gut wie lautlos. Der Grund dafür: Es fehlen Motorengeräusche.
Mehrere internationale Studien, zum Beispiel von der University of California ("Hybrid Cars are Hard to Hear", 2008), vom japanischen Zentrum für Automobilnormen JASIC ("A Study on Approach Warning Systems for Hybrid Vehicle in Motor Mode", 2009) oder von der US-amerikanischen Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA ("Quieter Cars and the Safety of Blind Pedestrians", 2010) gehen von einer erhöhten Unfallgefahr für Fußgänger durch Elektro- oder Hybridfahrzeuge aus. Die amerikanische Behörde spricht sogar von einer doppelt so hohen Unfallwahrscheinlichkeit für Fußgänger.
Damit sind vor allem Verkehrsteilnehmer gefährdet, die auf akustische Signale sowie Fahrgeräusche angewiesen sind, wie zum Beispiel Kinder, Fahrradfahrer, ältere und unaufmerksame Personen – aber auch sehbehinderte Menschen. Denn gerade für sie sind eine sichere räumliche Orientierung im Straßenverkehr anhand von Geräuschen unverzichtbar.
Auf Grundlage dieser Studien haben das Europäische Parlament und der Europäische Rat im Jahr 2014 eine Verordnung (540/2014) erlassen, um den Geräuschpegel von Kraftfahrzeugen und von Austauschschalldämpfer-Anlagen zu regeln. Diese tritt am 1. Juli 2019 in Kraft und gilt hauptsächlich für reine Elektro- sowie Hybrid- und Brennstoff-Fahrzeuge.
Ab Juli kommt mehr Fußgängerschutz
Die EU-Verordnung schreibt vor, dass elektrisch betriebene Autos im Straßenverkehr für alle Verkehrsteilnehmer besser hörbar seien müssen. Daher werden die Hersteller von Elektro- oder Hybridfahrzeugen dazu verpflichtet, einen "akustischen Fußgängerschutz" einzubauen – ab Juli 2019 aber erstmal nur für Automodelle, die neu auf den Markt kommen.
Ab Mitte 2021 müssen dann alle neu zugelassenen E-Autos, Plug-in-Hybride sowie Brennstoffzellenfahrzeuge über das sogenannte "Acoustic Vehicle Alerting System", kurz AVAS, verfügen.
Lauter wird’s nur beim langsam Fahren
Die Abkürzung AVAS steht für "Acoustic Vehicle Alerting System". Es ist eine akustische Fahrzeug-Warneinrichtung, die zukünftig zur Pflichtausstattung aller elektrisch betriebenen Fahrzeuge gehören muss. Dabei handelt sich um einen künstlichen Fahrgeräuschgenerator. Dieser erzeugt bis zu einer Geschwindigkeit von 20 Kilometer pro Stunde sowie beim Rückwärtsfahren ein hörbares Geräusch. Dieses muss mit dem Klang eines "mit Verbrennungsmotor ausgestatteten Fahrzeugs der gleichen Klasse" vergleichbar sein. Das bedeutet also, dass ein E-Smart beim Anfahren nicht genauso röhrt wie ein konventioneller Ferrari.
Fährt der "Stromer" schneller als 20 km/h, schaltet sich das künstlich erzeugte Motorengeräusch wieder ab. Denn ab dieser Geschwindigkeit, so die Annahme zahlreicher Experten, sind die Rollgeräusche der Reifen lauter als der Motor eines normalen Verbrenners selbst.
Gut zu wissen: Nicht nur elektrische Pkw müssen zukünftig über eine solche Warneinrichtung verfügen, auch E-Lkw und E-Busse müssen mit AVAS ausgestattet sein.
Übrigens: Eine Untersuchung des Center Automotive Research (CAR) von der Universität Essen-Duisburg hat – im Gegensatz zu den internationalen Studien – festgestellt, dass bei geringen Geschwindigkeiten selbst konventionelle Fahrzeuge der neuesten Motorengenerationen kaum lauter sind als E-Autos. So ist laut der CAR-Studie (2010) ein mit Benzin angetriebener Opel Agila bei 30 km/h gerade 2 dB lauter als ein vergleichbares Elektroauto bei der gleichen Geschwindigkeit.
Keine Sorge, keine Nachrüstung
Im Artikel 8 der EU-Verordnung werden ausschließlich neue Modelle zum Einbau eines akustischen Fahrzeug-Warnsystems verpflichtet. Für E-Autos, die bereits vor dem Stichtag 1. Juli 2019 zugelassen worden sind, gilt die Verordnung nicht – heißt: Eine Nachrüstung mit AVAS ist für diese Modelle nicht vorgesehen. Gegen eine solche verpflichtende, nachträgliche Umrüstung spricht außerdem, dass jeder Fahrer eines neuen Elektro- oder Hybridautos die Möglichkeit haben soll, AVAS mit einem "leicht erreichbaren Schalter" abzuschalten.
Übrigens: Benziner und Diesel-Fahrzeuge sind von dieser Nachrüstpflicht ebenfalls ausgenommen. Die EU-Vorschriften gelten ausschließlich für reine Elektrofahrzeuge sowie für Hybrid- und Brennstoffzellen-Autos.