Reussenköge (dpa/lno) - Windertragsberechnungen statt Mist schaufeln: Für Landwirte in Schleswig-Holstein hat sich die Windenergie nach Angaben der Landwirtschaftskammer in den genau 20 Jahren seit Errichtung der ersten Anlage zum wichtigen wirtschaftlichen Standbein entwickelt. Schleswig-holsteinische Bauern hätten seit 1983 eine Stromkapazität von insgesamt 540 Megawatt geschaffen und 600 Millionen Euro investiert, sagte Kammerpräsident Hermann Früchtenicht am Donnerstag anlässlich dieses Jubiläums in der Gemeinde Reussenköge (Kreis Nordfriesland).
Dort, auf dem Hof von Cornelia und Karl-Heinz Hansen, drehen sich seit dem 30. Oktober 1983 die Flügel einer
Windkraftanlage mit einer Nennleistung von 55 Kilowatt. "Wir wollten damals Haus und Hof heizen und Brauchwasser gewinnen, und das machen wir immer noch", sagte Hansen, von seinen Nachbarn nur "Kuddel Wind" genannt.
Niemand konnte damals ahnen, was man heute weiss: Dass die Initiative der Familie Hansen 20 Jahre später als "Pionierleistung" gewertet und zum Startsignal für eine Erfolgsgeschichte werden würde, und zwar für alle Beteiligten. Die Hansens haben bis heute im Schnitt 110.000 Kilowattstunden
Strom pro Jahr aus ihrem "kleinen Piloten" geerntet, dabei mit der technischen Entwicklung Schritt gehalten und im Laufe der Jahre zwei weitere, leistungskräftigere Anlagen angeschafft - "und zwar alle bezahlt", betonte der Investor.
Für die Landwirte in Schleswig-Holstein war das Pilotprojekt bedeutsam, weil hier erstmals verlässliche Daten erhoben werden konnten, die als Beratungsgrundlage dienten. Denn nachdem Ende der 80er Jahre erstmals Förderinstrumente geschaffen wurden, sprangen nach Aussage von Energieberater Walter Eggersglüss auch andere auf den Zug auf. Heute sind nach Kammerinformationen mehr als 1.000 Mitgliedsbetriebe an der Windenergienutzung direkt beteiligt und erzeugen rund 30 Prozent der Gesamtleistung im Lande von rund 1.800 Megawatt.
Und auch für die Firma "Vestas" als Hersteller war die Hansensche 55-KW-Anlage ein Meilenstein: Damals wurde der Verkauf noch vom Mutterland Dänemark aus abgewickelt, heute gibt es die Tochter "Vestas Deutschland", die in Schleswig-Holstein Marktführer ist und allein am deutschen Hauptsitz Husum laut Aussage von Sprecher Andreas Eichler 600 Mitarbeiter beschäftigt.
Die 55-KW-Anlage in den Reussenkögen, damals mit ihren 15 Metern Rotordurchmesser auf dem neuesten Stand der Technik, ist nach den Worten von Früchtenicht heute "eher ein Objekt für’s Industriemuseum". Zwei Megawatt Nennleistung -das 36-fache - und ein Rotordurchmesser von 80 Metern sind jetzt Standard. Aber der kleine Pilot läuft noch, laut Karl-Heinz Hansen als älteste noch voll funktionsfähige Windkraftanlage Deutschlands, und zwar ohne dass die grossen Komponenten wie Flügel, Generator und Getriebe ausgetauscht werden mussten. Ihre Besitzer würden sie gern noch lange behalten. "Wir hängen richtig an ihr", erklärte Hansen.