Widerstand gegen Laufzeitverlängerung auf allen Ebenen
Stand: 29.10.2010
Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: dapd
Berlin - Der Konflikt um die Atompolitik der Regierung geht in die nächste Runde. Die schwarz-gelbe Mehrheit konnte im Bundestag zwar ihren Plan für längere Laufzeiten der 17 Reaktoren durchsetzen. Die Opposition und mehrere Bundesländer kündigten jedoch bereits Verfassungsklagen an, um die Abkehr vom Atomausstieg zu verhindern. Auch viele Stadtwerke gehen auf die Barrikaden und planen eine Kartellbeschwerde bei der EU-Kommission.
Die Verlängerung der Laufzeiten der 17 deutschen Reaktoren um durchschnittlich zwölf Jahre ist Kernpunkt des Energiekonzepts der schwarz-gelben Koalition. Von den zusätzlichen Gewinnen der vier Betreiber will sie bis zu 30 Milliarden Euro abschöpfen und in den Ausbau erneuerbarer Energien stecken.
Die Opposition im Bundestag, die in der rot-grünen Regierung vor zehn Jahren den Atomausstieg bis 2021 durchsetzte, kritisierte die Pläne scharf. Sie warnt vor den Gefahren der Technik und davor, dass der billige Atomstrom den Ausbau erneuerbarer Energien verzögert.
Die früheren Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) zeigten sich sicher, dass sie den Beschluss aushebeln können. "Wir werden dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen", sagte Gabriel. Grünen-Fraktionschef Trittin kritisierte, die Koalition habe Minderheitsrechte ignoriert und wolle auch den Bundesrat nicht beteiligen. "Sie brechen die Verfassung und sie spalten die Gesellschaft", sagte Trittin.
Verfassunsklage ist unausweichlich
Die SPD-geführten Länder Berlin, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen kündigten umgehend eigene Verfassungsklagen an. Wegen Missachtung der Länderinteressen sei ein Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht unausweichlich geworden, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und die rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad (SPD) äußerten sich ähnlich. Auch Brandenburgs Umweltministerin Anita Tack (Linke) nannte die Laufzeitverlängerung eine "energiepolitische Fehlentscheidung".
Stadtwerke wollen Kartellbeschwerde
Widerstand kommt darüber hinaus von etlichen Kommunen. Vertreter von Stadtwerken kündigten eine Kartellbeschwerde bei der EU-Kommission an. Wie der Geschäftsführer der Stadtwerke Schwäbisch Hall, Johannes van Bergen, mitteilte, wollten sich an der Beschwerde "mehr als 100 Stadtwerke beteiligen". Das Energiekonzept bedeute für die Regionalversorger eine schwere Wettbewerbsverzerrung. Mit einer gemeinsamen Anzeige in fünf großen Tageszeitungen verliehen die Stadtwerke ihrem Anliegen Ausdruck.
Behinderung des Wettbewerbs auf dem Strommarkt
Dem Bundesverband Neuer Energieanbieter (bne) zufolge haben neue Anbieter wegen dem Energiekonzept kaum noch eine Chance, auf dem deutschen Erzeugermarkt Fuß zu fassen. "Der Wettbewerb auf dem Erzeugermarkt kommt so nicht in Gang - sondern wird um viele Jahre zurückgeworfen", kommentiert bne-Geschäftsführer Robert Busch. Nach der Bescherung für die vier großen Kernkraftwerksbetreiber komme es nun darauf an, endlich den Wettbewerb im Erzeugungsmarkt zu stärken. "Die dünnen Bestimmungen im Energiekonzept zur Förderung neuer Kraftwerke neuer Anbieter zeigen in die richtige Richtung - müssen nun aber dringend zu einem tragfähigen Investitionskonzept entwickelt werden", fordert Busch.
Um den Schaden nicht noch größer werden zu lassen, müsse das Gesetz zur Errichtung eines "Energie- und Klimafonds" jetzt sachgerecht und präzise ausgestaltet werden. "Die Nennung des Fondszwecks im Gesetz ist derart windelweich, dass sich damit alles und nichts fördern lässt", so Busch. Es sei wichtig, genau definierte Parameter für die Mittelverwendung festzulegen, die exakt beschreiben, wer unter welchen Voraussetzungen aus dem Fonds begünstigt werden kann, betont der bne-Geschäftsführer: "Sonst erleben wir am Ende, dass sich die Kernkraftwerksbetreiber später Gelder aus genau jenem Fonds sichern, der eigentlich als Gegenleistung für die Laufzeitverlängerung gedacht war."