Wenn alle Elektroautos fahren… – Drei Strom-Mythen auf dem Prüfstand
Stand: 15.05.2019
Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: Verivox
Heidelberg - Auf ein Elektroauto umsteigen oder lieber bei Benzin und Diesel bleiben? Diese Frage erhitzt hierzulande die Gemüter. Es wird auch darüber gestritten, ob die Wende zum elektrischen Straßenverkehr überhaupt möglich und wirtschaftlich ist. Die Energieexperten von Verivox haben sich die drei häufigsten Argumente aus der Gattung „Wenn alle Elektroautos fahren…“ angeschaut.
Wenn alle Elektroautos fahren, wird der Strom knapp
Falsch. Der Stromverbrauch wird steigen, aber es gibt bereits jetzt genügend Erzeugungskapazitäten dafür. Laut Kraftfahrtbundesamt fahren Pkw in Deutschland rund 631 Milliarden Kilometer pro Jahr. Legt man einen Stromverbrauch von 20 kWh pro 100 Kilometer zugrunde (das entspricht etwa dem realen Stromverbrauch eines Renault Zoe), kommen rund 126 Milliarden Kilowattstunden Strom zusammen. So viel Strom wäre nötig, um alle Pkw in Deutschland genauso weit fahren zu lassen wie aktuell.
Laut dem Branchenverband BDEW wurden im Jahr 2018 in Deutschland insgesamt 527 Milliarden Kilowattstunden verbraucht. Der Stromverbrauch Deutschlands würde als um rund ein Viertel ansteigen. Dieser zusätzliche Strom kann innerhalb Deutschlands produziert werden, die notwendige Erzeugungsleistung ist da. Allein aus erneuerbaren Energien wurden im Jahr 2018 rund 226 Milliarden Kilowattstunden produziert. Insgesamt wurden außerdem im gleichen Jahr 50 Milliarden Kilowattstunden Strom ins Ausland exportiert. Zum Vergleich: Die notwendige Energie für die Benziner und Diesel wird aktuell zu 95 Prozent importiert.
Wenn alle Elektroautos fahren, brechen die Stromnetze zusammen
Falsch. Zugegeben, wenn über Nacht plötzlich alle Autos Strom bräuchten, könnten die Stromnetze in ihrem aktuellen Zustand das nicht leisten. Je nach Zustand des örtlichen Stromnetzes kann schon eine begrenzte Anzahl von Elektroautos zu Problemen führen. Wer sich eine Ladestation für ein Elektroauto anschafft, muss das deshalb dem örtlichen Stromnetzbetreiber melden. Hat die Station eine Leistung von über 12 kW, muss der Netzbetreiber sie ausdrücklich genehmigen. Verschiedene Studien gehen davon aus, dass ab einem Anteil von 10 bis 30 Prozent Elektroautos an der gesamten Fahrzeugflotte die Stromnetze ausgebaut werden müssen. Bei 10 Prozent wären das rund 4,5 Millionen Pkw. Aktuell sind in Deutschland noch nicht einmal 100.000 Elektroautos zugelassen. Da der Umstieg auf Elektroautos nach und nach erfolgen wird, ist genug Zeit, um die notwendige Infrastruktur dafür zu schaffen.
Müssten einfach mehr Stromleitungen verlegt werden, wäre das tatsächlich teuer. Doch die Elektroautos bieten auch kostensenkende Chancen: Eines der größten technischen Probleme ist nach wie vor die Speicherung von Strom. Mit dem Umstieg auf Elektroautos wird Deutschland mit einem Netz von mobilen Batterien überzogen, in denen je nach Situation Strom gespeichert werden kann. Wird die Ladung der Elektroautos intelligent gesteuert, können die Elektroautos sogar als virtuelle Stromleitungen dienen.
Wenn alle Elektroautos fahren, explodieren die Strompreise
Falsch. Die erhöhte Nachfrage nach Strom muss die Strompreise nicht zwangsläufig steigen lassen, denn es sind genügend Erzeugungskapazitäten vorhanden. Die Preise für Benzin und Strom gleichen sich darin, dass über die Hälfte aus Steuern und Abgaben besteht. Beim Benzin sind es knapp 60 Prozent, bei Strom sind es rund 54 Prozent. Den größten Teil der Benzin- und der Strompreise kontrolliert also der Staat. Ihre Höhe hängt daher nicht so stark am Spiel von Nachfrage und Angebot wie bei anderen Produkten.
Beim Strompreis kommen neben dem Staatsanteil noch die Gebühren für die Stromnetze hinzu, die rund 23 Prozent des Endpreises ausmachen. Diese könnten aufgrund des notwendigen Netzausbaus durchaus steigen. Dass die Strompreise in Zukunft günstiger werden, ist daher tatsächlich unwahrscheinlich. Doch eine von Elektroautos getriebene Strompreisexplosion ist nicht zu befürchten. Letztendlich ist es vor allem eine politische Entscheidung, welche Steuern von den Bürgern für welchen Kraftstoff bezahlt werden müssen.