Utz Claassen vor Gericht - WM-Einladungen als Korruption?
Stand: 04.11.2007
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Karlsruhe (dpa) - Es war aufrichtig gemeint, das offizielle Motto der Fußball-WM 2006. Nur hat es der WM-Sponsor EnBW etwas zu großzügig ausgelegt. Das meint jedenfalls die Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Weil "die Welt zu Gast bei Freunden" sein sollte, wollte der baden-württembergische Energiekonzern auch die heimischen Politiker an der Gastfreundschaft teilhaben lassen. Utz Claassen, bis vor kurzem EnBW-Vorstandsvorsitzender, hatte deshalb mit der Weihnachtspost 2005 Ticketgutscheine verschickt - weshalb er sich vom kommenden Dienstag (6.11.) an wegen Vorteilsgewährung vor dem Landgericht Karlsruhe verantworten muss.
Denn das Landgericht wollte diese Punkte schon bei der Eröffnung des Verfahrens aus der Anklage streichen. Daraus wurde zwar nichts, weil das Oberlandesgericht Karlsruhe im Juni eine Verhandlung über den Gesamtkomplex anordnete, freilich aus rein prozessualen Gründen. Faktisch ist das Landgericht nicht gehindert, an seiner ursprünglichen Position festzuhalten. Die Regierungsmitglieder, so war der Eröffnungsbeschluss zu verstehen, sollten als Repräsentanten ihres Landes in der Ehrenloge sitzen - und nicht als Bakschischempfänger.
Damit schnurrt der Fall praktisch auf einen einzigen Namen zusammen: Matthias Machnig (SPD), Staatssekretär im Bundesumweltministerium, der bisher prominenteste Zeuge im Prozess. Auch er gehörte zu denen, die einen Ticket-Gutschein im Weihnachtskuvert fanden. Nun ist zwar der Staatssekretär als Vertreter des Ministers irgendwie auch Repräsentant seiner Regierung. Dennoch wird das Landgericht prüfen: Wurde Machnig nicht doch vor allem deshalb eingeladen, weil sich der Konzern den Mann in der energiepolitischen Schlüsselposition gewogen halten wollte?
Juristen nennen so etwas "Klimapflege". Und die ist strafbar, seit im Jahr 1997 das Korruptionsstrafrecht entscheidend verschärft wurde. Mussten die Gerichte früher nachweisen, dass der großzügige Spender behördliche Entscheidungen regelrecht "gekauft" hat, lassen die neuen Vorschriften für Großzügigkeiten gegenüber Politikern oder anderen "Amtsträgern" sehr viel weniger Raum. Die generöse Reiseeinladung oder die erkleckliche "Aufwandsentschädigung" für den "Gedankenaustausch" kann auch dann strafbar sein, wenn von einer Gegenleistung nicht die Rede war. Jedenfalls dann, wenn der "dienstliche Bezug" des Geschenks augenzwinkernd für alle Beteiligten klar ist.
Das etwas zu groß geratene Präsent eines Energiekonzerns an einen Umweltstaatssekretär dürfte normalerweise genau in diese Kategorie passen. Dennoch wird der Prozess eine juristische Gratwanderung werden; aller Wahrscheinlichkeit muss nach der Bundesgerichtshof am Ende ein klärendes Wort sprechen. Denn wenn ein Unternehmen für 12,78 Millionen Euro mit dem Staat als offizieller Sponsor für das Großereignis Fußball-Weltmeisterschaft ins Geschäft kommt, dann darf es auch staatliche Repräsentanten präsentieren, meinen durchaus ernstzunehmende Stimmen aus der juristischen Fachwelt.
Claassens Verteidigerriege - Klaus Menge und Steffen Stern aus Göttingen sowie Götz von Fromberg aus Hannover - will die Anklage aber noch mit weiteren Argumenten aushebeln. Sie glauben sogar, die Gutscheine hätten keinerlei Wert, weil Regierungsmitglieder ohnehin freien Eintritt gehabt hätten. Außerdem habe Claassen, so beteuerten sie kürzlich gegenüber der Presse, weder angeordnet noch geduldet, dass Machnig eine Einladung erhalte. Ein Versehen der Protokollabteilung, die Claassens VIP-Post hinterher mit Präsenten bestückt habe. Machnigs Chef Sigmar Gabriel habe nur ein Kaffeeservice für 25 Euro erhalten.