Garching (dpa) - Nach jahrelangem Tauziehen ist der Forschungsreaktor FRM-II in Garching bei München seiner Bestimmung übergeben worden. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hob beim Festakt am Mittwoch die Bedeutung des 435 Millionen Euro teuren Projekts für den Wissenschaftsstandort Deutschland hervor. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) mahnte Anstrengungen für eine konkurrenzfähige Wissenschaft an. Vor der Eröffnungsfeier protestierten laut Polizei rund 60 Kritiker gegen das Projekt.
Der Reaktor soll der Forschung als Hochleistungsquelle für Neutronen dienen. Im Herbst soll die volle Leistung von 20 Megawatt erreicht sein und der Normalbetrieb beginnen. Schily sagte, der Reaktor sei für Deutschland ein Garant für eine Führungsstellung in der Neutronenforschung. "Die Bedenken, die noch von einigen gegen die Neutronenquelle geltend gemacht werden, teile ich nicht."
Stoiber betonte, spitzentechnologische Einrichtungen wie der neue Reaktor kämen in Deutschland zu kurz. "Exzellente Forschung braucht exzellente Köpfe, und exzellente Köpfe suchen exzellente Rahmenbedingungen." Der FRM-II setze bei der Neutronenforschung weltweit neue Massstäbe. Bayerns Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU) bezeichnete die Eröffnung des FRM-II als ein Signal an Nachwuchswissenschaftler.
Der Präsident der Technischen Universität München, Professor Wolfgang Herrmann, sagte, acht Jahre nach dem ersten Spatenstich könne der FRM-II endlich seine Arbeit aufnehmen. Seit dem Votum des Wissenschaftsrates seien 15 Jahre vergangen. "Das ist viel zu lange. Deshalb müssen wir jetzt mit Wissenschaft aufholen." Kardinal Friedrich Wetter und Regionalbischöfin Susanne Breit-Kessler erteilten ihren Segen. Er gelte ausdrücklich nicht dem Reaktor, sondern den Menschen und schliesse auch Kritiker ein, betonte Breit-Kessler.
Hintergrund: Der Forschungsreaktor FRM-II in Garching bei München
Der Atom-Forschungsreaktor FRM-II in Garching bei München ist nach wie vor umstritten. Grund ist vor allem die Verwendung von atomwaffenfähigem hochangereichertem
Uran als Brennstoff. Nach einer Vereinbarung zwischen Bayern und dem Bund soll der Reaktor aber bis 2010 auf niedriger angereichertes, nicht atomwaffentaugliches Uran umgerüstet werden. Die Gegner der Anlage sehen auch Sicherheitsmängel und fürchten bei Störfällen eine Freisetzung von Radioaktivität. Die Reaktorplaner dagegen sprechen von "höchsten Sicherheitsstandards".
Der fast 435 Millionen Euro teure Reaktor soll der Forschung als Hochleistungs-Neutronenquelle dienen. Die Neutronen sind für die Materialforschung wichtig. Mit der so genannten Neutronenspektrographie lassen sich etwa innere Spannungen einer Schweissnaht sichtbar machen. In der Umweltforschung erlauben Neutronen eine rasche und präzise Untersuchung etwa von Bodenproben auf Schadstoffe. Mediziner können mit Neutronen-Bestrahlung bestimmte Tumore wie Kehlkopf- oder Hautkrebs behandeln.
Der Neubau ersetzt den Forschungsreaktor FRM-I, das "Garchinger Atom-Ei". Dieses war im Juli 2000 nach mehr als 40 Betriebsjahren stillgelegt worden. Der Bau des FRM-II begann im August 1996, im August 1998 wurde Richtfest gefeiert. Fertig gestellt ist der Reaktor mit 20 Megawatt thermischer Leistung seit Mitte 2001. In Deutschland gibt es drei weitere Forschungsreaktoren, in Berlin, Geesthacht und Jülich.