"Ultranet"-Technik: Stromnetz aufrüsten statt ausbauen
Stand: 24.04.2012
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Frankfurt/Main - Das Stromnetz in Deutschland ist zu schwach für den bundesweiten Transport von Strom aus erneuerbaren Energien. Doch statt neue Hochspannungsleitungen zu bauen, könnten die bereits existierenden aufgerüstet werden. Eine neue Technik lässt die Netzbetreiber hoffen.
Der dringend nötige Ausbau der Stromnetze in Deutschland könnte schneller und günstiger vonstatten gehen als bislang erwartet: Die Netzbetreiber Amprion und Transnet BW testeten erfolgreich den Einsatz einer neuen Technik für den Stromtransport quer durch das Land, wie die Unternehmen am Dienstag mitteilten. Demnach könnten alte Stromtrassen einfach aufgerüstet werden, anstatt neue Leitungen zu bauen - wogegen es vielerorts heftige Proteste von betroffenen Bürgern gibt.
Von Drehstrom zu Gleichstrom
Die Netzbetreiber setzen auf die sogenannte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ). Dabei wird die Energie auf weite Entfernung nicht mehr - wie bislang in Deutschland üblich - als Drehstrom, sondern als Gleichstrom übertragen. Die Verluste bei der Übertragung sind dabei deutlich geringer. Entsprechend kann deutlich mehr Strom von einem Ende zum anderen geschickt werden - Amprion zufolge die doppelte Menge.
Der Pilotversuch mit einer derzeit nicht benötigten Stromleitung beim Kraftwerk Datteln für das "Ultranet" getaufte Vorhaben zeigte den Unternehmen zufolge, dass das Aufrüsten der alten Stromtrassen durch neue Leitungen problemlos funktioniert. Mit zusätzlichen Masten auf den alten Trassen könnte die Kapazität demnach sogar noch weiter gesteigert werden.
Erste Leitung vom Rheinland nach Stuttgart
Die erste Leitung soll nach Vorstellungen von Amprion und Transnet BW über 430 Kilometer auf bestehenden Trassen aus dem nördlichen Rheinland in den Stuttgarter Raum führen. "Wir wollen das Ding 2019 am Laufen haben, 2017 wäre uns noch lieber", sagte der technische Geschäftsführer von Amprion, Klaus Kleinekorte, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Dienstag. In diesen beiden Jahren soll im Südwesten Deutschlands jeweils ein Atomkraftwerk abgeschaltet werden; als Ersatz soll dann Strom durch die Ultranet-Leitung aus dem Norden kommen.
Der Ausbau der Stromnetze ist einer der zentralen Punkte der vor einem Jahr beschlossenen Energiewende, kommt bislang aber nur schleppend voran. Ziel ist es vor allem, den im Norden produzierten Windstrom in die Industriezentren im Westen und Süden Deutschlands zu transportieren. Derzeit erarbeiten Netzbetreiber und Bundesnetzagentur einen bundesweiten Netzentwicklungsplan als Grundlage für den Ausbau des Stromnetzes.
Strom kann in beide Richtungen fließen
Die HGÜ-Technik hat sich in der Praxis bereits bewährt. Mit ihr sind beispielsweise Mitteleuropa und Skandinavien verbunden, auch Sardinien ist mit einer HGÜ-Leitung ans Festland angebunden. Die Technik hat den Vorteil, dass Strom in den Leitungen in beide Richtungen fließen kann: Weht einmal an der Küste kein Wind, könnte also beispielsweise Solarstrom aus dem Süden in den Norden fließen. Auch das Wüstenstrom-Projekt Desertec setzt auf Gleichstrom-Leitungen aus Nordafrika nach Europa.
Die notwendigen teuren Übertragungsnetze führen immer wieder zu Kritik an den zahlreichen geplanten Meeres-Windparks. Die Kosten dafür könnten nun sinken. Gleichwohl sind auch dann weiterhin teure Anschlussleitungen für die Anlagen notwendig. Die Offshore-Energie könnte daher "nach dem sehr teuren Solarboom die nächste Kostenwelle" für Verbraucher bedeuten, kritisierte der Energieexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Holger Krawinkel, in der "Berliner Zeitung" vom Dienstag.