Münster (dpa) - Adelheid Boge stellt den Tierbestand auf dem familieneigenen Hof in einem Atemzug vor: "Wir haben 14 000 Puten, 500 Sauen und Abermillionen Bakterien", sagt die Landwirtin und lacht. Die unzähligen Mikroorganismen halten auf dem Betrieb im münsterländischen Telgte die Biogasanlage in Betrieb. Eine Leistung von 151 Kilowatt kann die auf zwei grüne Tanks verteilte Anlage erzeugen. Einen Teil der Kraft aus ihrer "Wundertüte" speisen die Boges in das öffentliche Stromnetz ein. Die Abwärme des Motors im hofeigenen Blockheizkraftwerk heizt Fußböden in Haus und Stall, erzeugt außerdem Warmwasser.
Vor acht Jahren haben Christoph und Adelheid Boge auf ihrem Hof am Rande von Telgte den Schritt zur Stromerzeugung aus Biomasse gewagt. Sie gehören damit zu den Pionieren. Verglichen mit anderen Anlagen wird relativ wenig
Strom erzeugt - aber eben maßgeschneidert für die eigenen Bedürfnisse. Inzwischen stehen nach Angaben der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen etwa 230 Biogasanlagen zwischen Rhein und Weser. Die meisten finden sich auf landwirtschaftlichen Betrieben im westlichen Münsterland. Der in den nordrhein-westfälischen Biogasanlagen erzeugte Strom reicht aus, um etwa 105 000 Vierpersonenhaushalte mit elektrischem Strom zu versorgen.
Zunächst war die alternative Form der Energieerzeugung aus Biomasse - das sind alle organischen Stoffe pflanzlichen oder tierischen Ursprungs - eng mit der Tierhaltung verknüpft. Denn in der Tiergülle befinden sich Mikroorganismen, die den Gärungsprozess in Gang bringen. In den mächtigen, abgeschlossenen Behältern zerlegen Bakterien die Biomasse - Mais etwa. Dabei entsteht
Methangas, das aufgefangen und aufbereitet ein Energielieferant wie Erdgas ist. Das "Erneuerbare-Energien-Gesetz" (EEG) verpflichtet Stromnetzbetreiber, Elektrizität aus Sonne, Wasser, Wind oder Biomasse ins Stromnetz aufzunehmen und dafür auf Jahre einen festgelegen Preis zu zahlen.
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Biogas hat rasant Laufen gelernt", sagt Joachim Matthias, Biogasberater der Landwirtschaftkammer in Münster. Waren es anfangs in den siebziger Jahren noch einzelne Ökobetriebe, die, vom Kreislaufgedanken beseelt, Energie aus und für den Hof produzierten, so sind heute die Methoden weit ausgefeilter. "Es ist alles eine Frage der Verfahrenstechnik", meint Matthias. Und längst entstehen die Anlagen nicht mehr nur in den Gebieten mit intensiver Tierhaltung, sondern auch in den Ackerbauregionen etwa des Rheinlandes. Tiermist wird immer weniger verwendet - und eine empfindliche Nase nicht mehr gestört.
In Zeiten ständig steigender
Energiepreise wird die einst belächelte Art der Energiegewinnung auch für die "Großen" interessant. Ein Beispiel sind die Stadtwerke Aachen: "Wir wollen grundsätzlich mehr Energie selbst produzieren und von den großen Zulieferern unabhängiger werden", sagt Kai Mennigmann, Sprecher der Stadtwerke Aachen (Stawag). Investitionen von etwa 50 Millionen Euro in Biogasanlagen plant die stadteigene Aktiengesellschaft, die über 150 000 Kunden mit Strom versorgt.
Die erste Stawag-Anlage entsteht derzeit bei Kerpen: Für rund 5 Millionen Euro wird dort auf etwa 7000 Quadratmetern ein Biogasbetrieb mit einer Gasaufbereitungsanlage gebaut. Bis Jahresende soll die Anlage mit einer Leistung von zwei Megawatt fertig sein und den Strombedarf von etwa 5200 Haushalten decken. Die Rohstoffe wie Mais oder Weizen liefert eine örtliche Agrargenossenschaft.
Das gereinigte Biogas habe die Qualität von Erdgas, versichern die Fachleute. Es werde in die bestehenden Leitungen gepumpt und andernorts in Blockheizkraftwerken eingesetzt. "Erstmals wird das deutsche Erdgasnetz für regenerative Energien geöffnet", berichten die Stadtwerke Aachen, die sich damit als Vorreiter in Deutschland sehen. (Internet: www.landwirtschaftskammer.de/fachangebot/technik/biogas/pdf/karte- biogasanlagen.pdf)