Sicherheits-Nachrüstpläne für AKW sorgen für Konfliktstoff
Stand: 02.09.2010
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Berlin - Eigentlich klingen die Pläne der Regierung sinnvoll: Mit fast zehn Jahren Verspätung aus den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA Lehren gezogen werden. Alle deutschen Atomkraftwerke sollen gegen den Absturz großer Passagierflugzeuge vom Typ A-320 gesichert werden.
Der Teufel steckt für die Bundesregierung nun im Detail. Wenn die Konzerne fünf bis sieben Jahre Zeit bekommen für die Nachrüstungen, dürften auch die ältesten Meiler von längeren Laufzeiten profitieren - und den Betreibern Milliarden an Zusatzeinnahmen bescheren. Zudem sieht die Ökoenergie-Branche dann erst recht die Ziele beim Ausbau erneuerbarer Energien als gefährdet an.
Wenn AKW erst in den Genuss längerer Laufzeiten kommen und dann nach fünf bis sieben Jahren wegen zu hoher Kosten für eine neue Hülle abgeschaltet würden, gäbe es zwar weniger Meiler. Reststrommengen könnten dann aber wohl von alten auf neue AKW übertragen werden. Die verbliebenen Anlagen würden so wesentlich länger laufen. Das könnte bedeuten, dass auch 2050 noch deutsche Atomkraftwerke am Netz sind.
"Jetzt wird es endgültig absurd: Ein Atomkraftwerk, das nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert ist, noch fünf Jahre am Netz zu lassen, obwohl schon jetzt absehbar ist, dass der entsprechende bauliche Schutz für die Betreiber zu teuer kommt, ist absolut verantwortungslos", sagt der Sprecher der Anti-Atom-Organisation "ausgestrahlt", Jochen Stay.
Die SPD spricht von Milliardengeschenken an die Konzerne. Denn weiterlaufende Atomkraftwerke bescheren den Betreibern je nach Anlage bis zu eine Million Euro täglich. Rot-Grün hatte die Zustimmung der Konzerne zum Atomausstieg im Jahr 2000 auch dadurch erreicht, dass sie ältere Anlagen nicht mehr nachrüsten mussten.
Die sieben ältesten Reaktoren - Biblis A und B, Neckarwestheim 1, Unterweser, Brunsbüttel, Philippsburg 1 und Isar 1 - gelten wegen zu geringer Wandstärken der Reaktoren als nicht sicher genug, Terrorattacken mit großen Flugzeugen standzuhalten. Als Maßstab sollen die Sicherheitsrichtlinien für die jüngsten Meiler Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 gelten.
Die Konzerne wehren sich aber gegen zu große Belastungen - sie hatten eine Vernebelung der Anlagen vorgeschlagen, bis die Bundeswehr solche Flugzeuge abschießt. Ein solches Szenario ist aber nach einem Verfassungsgerichtsurteil ausgeschlossen. Laut dem am Montag veröffentlichten Energiegutachten würden sich die Nachrüstkosten bei einer Verlängerung der Laufzeiten um 12 Jahre auf 20,3 Milliarden Euro belaufen, bei 20 Jahren auf 36,2 Milliarden.
Die Frage der Nachrüstung ist letztlich auch wichtig bei der Frage, ob der Bundesrat zustimmen muss oder nicht. Schwarz-Gelb hat keine Mehrheit mehr in der Länderkammer und will daher den Bundesrat umgehen. Deshalb werden mehrere Landesregierungen nach Karlsruhe ziehen. Somit wird das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort haben, ob Union und FDP den Ausstieg aus dem Atomausstieg wirklich durchsetzen dürfen.
Entscheidend für die Verfassungsmäßigkeit ist weniger die Frage, ob es 10 oder 15 Jahre mehr geben soll, sondern ob den Ländern bei der Nachrüstung qualitativ neue Aufgaben abverlangt werden. Die Umwelthilfe sieht dies bei den Auflagen, die Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) plant, als gegeben an.
"Bauliche Anlagenänderungen zur Sicherung der Atomkraftwerke vor terroristischen Anschlägen sind bislang zu keinem Zeitpunkt geprüft oder auch nur ernsthaft diskutiert worden", sagt die Leiterin für Klimaschutz und Energiewende, Cornelia Ziehm. "Den Ländern würde bei einer Verlängerung der Betriebszeiten in qualitativer Hinsicht eine grundsätzlich neue Prüf- und Genehmigungsaufgabe auferlegt."
Der DUH-Sprecher Gerd Rosenkranz sieht die Regierung deshalb "nah am Verfassungsbruch", sollte sie ihre Pläne so umsetzen. Wie groß der Klärungsbedarf der Regierung bei diesen heiklen Fragen ist, zeigt die Tatsache, dass für Sonntag eine ganztägige Atom-Spitzenrunde im Kanzleramt anberaumt worden ist.