Essen - Auf der Hauptversammlung der RWE am Mittwoch in Essen kündigte der 61-jährige Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Fischer sehr überraschend an, dass er das Amt niederlegen wolle. Als offiziellen Grund gab er seine persönliche Lebensplanung an, was aber nur als vorgeschoben gilt. Er beschwerte sich im Laufe der Sitzung über die "anhaltenden Indiskretionen" im Kontrollgremium. In vielen Medienberichten sprach man in letzter Zeit von einem tiefen Zerwürfnis zwischen dem Kontrollgremium und Vorstandschef Jürgen Großmann.
Es war schon ein bemerkenswerter Auftakt der Hauptversammlung. Die Sitzung begann mit einiger Verzögerung. Erst zehn Minuten nach dem offiziellen Beginn trat mit Großmann der erste Akteur auf die Bühne. Vom Aufsichtsrat noch keine Spur. Die Mitglieder traten erst einige Minuten später auf - mit versteinerter Miene. Bei der vorherigen Sitzung des Kontrollgremiums soll Fischer die Mitglieder über seinen Schritt informiert haben. Nach Informationen des "Handelsblatt" (Online) soll er sich darüber beklagt haben, dass Details über eine am Dienstag vorgestellte vertrauliche Studie über die Arbeit des Aufsichtsrats an die Öffentlichkeit gelangt waren.
"Sie können sich kaum vorstellen, wie sehr mich das empört", sagte Fischer zu den Indiskretionen. In der Vergangenheit mussten die Mitglieder des Aufsichtsrats sogar schon eidesstattliche Versicherungen beim Notar abgegeben, dass sie selbst nicht über vertrauliche Dinge gesprochen haben. "Es hat offenbar nichts gebracht", sagte Fischer. Der ehemalige WestLB-Chef, der seinen Posten nach millionenschweren Fehlspekulationen von Mitarbeitern der Bank im Jahr 2007 aufgeben musste, steht seit 2004 an der Spitze des RWE-Aufsichtsrats. In der Vergangenheit war schon mehrfach über eine mögliche Aufgabe spekuliert worden. Fischer war bei
RWE bis zum Jahr 2011 bestellt worden.
Im Aufsichtsrat von RWE sitzen neben der Arbeitnehmerseite und Wirtschaftsvertretern auch kommunale Repräsentanten. Rund ein Viertel der RWE-Aktien ist im Besitz von Städten und Kommunen. Standortpolitische Fragen spielen in dem Gremium oft eine wichtige Rolle. Vorstandschef Großmann soll - so hieß es zuletzt in zahlreichen Medienberichten - oft mit dem Gremium anecken. Vielen gehe seine "bevormundende Art" auf die Nerven. Großmann soll etwa mehrfach mit Rücktritt gedroht haben, falls er für seine Vorschläge kein grünes Licht bekommen sollte.
Der Manager, der seit Herbst 2007 amtiert, krempelt derzeit den Konzern um. Sein Ziel ist es, RWE effizienter zu machen und Doppelzuständigkeiten abzubauen. So will er das Vertriebs- und Netzgeschäft neu sortieren und dafür die bisherige Zwischenholding RWE Energy abschaffen. Es sollen zahlreiche Managerposten wegfallen. Von vielen Aktionären erhielt Großmann Unterstützung. "Der Aufsichtsrat wusste doch, dass er mit Großmann einen Macher zum Vorstandschef bestellte", sagte ein Aktionärsvertreter.
Vehement forderten mehrere Sprecher Aufklärung. Mit dem Hinweis auf Vertraulichkeit blieben aber auch Fragen nach möglichen Konflikten im Aufsichtsrat und mit dem Vorstandschef unbeantwortet. "Ich glaube nicht, dass es ein Fortschritt in der Entwicklung wäre, wenn wir live und online berichten würden", sagte Fischer.
Großmann hatte sich zuvor optimistisch für die Zukunft gezeigt. Trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise will der Konzern auch in diesem Jahr ein Ergebnis in der Höhe des Vorjahres erzielen. Bis 2012 soll der Gewinn zwischen 5 und 10 Prozent zulegen. Aktuelle Probleme räumte Großmann allenfalls bei einem Rückgang des Stromabsatzes und bei einem schwächeren Ergebnis im britischen Geschäft ein.
Unklar blieb zunächst, wer Fischer an der Spitze des RWE-Aufsichtsrats folgen könnte. Fischer hatte in der Sitzung bestätigt, dass er als einfaches Mitglied in dem Kontrollgremium bleiben will.
Damit würde zunächst kein Platz frei werden. In der Vergangenheit war darüber spekuliert worden, dass ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz den Posten übernehmen könnte. Schulz sitzt derzeit bereits als einfaches Mitglied in dem Gremium.