Rekommunalisierung: Der deutsche Energiemarkt im Umbruch
Stand: 04.01.2011
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Frankfurt/Main - Der Energiemarkt befindet sich im Umbruch: Gut zehn Jahre nach der Liberalisierung dreht sich das Rad zurück, der Staat gewinnt wieder mehr Einfluss. Das Land Baden-Württemberg ist beim Versorger EnBW eingestiegen. Auch die Kommunen mischen wieder stärker mit und machen immer mehr Druck auf Großkonzerne wie E.ON und RWE.
So lassen sie Konzessionen auslaufen, mit denen sie den Betrieb von Gas- und Stromnetzen an die Konzerne verpachtet haben. Teilweise wollen sie die Netze in Zukunft wieder in eigener Regie betreiben. Der Bundesnetzagentur zufolge läuft derzeit oder in den kommenden Jahren ein großer Teil dieser etwa 20.000 Verträge bundesweit aus.
Auch in der Energieerzeugung werden die Kommunen wichtiger. Erst im Dezember erhielt ein Konsortium aus sechs Stadtwerken im Ruhrgebiet den Zuschlag für den fünftgrößten deutschen Stromerzeuger Evonik-Steag. Bereits 2009 kauften die Stadtwerke Hannover, Mainova aus Frankfurt, N-Ergie aus Nürnberg und ein Konsortium kleiner Versorger um die Freiburger Badenova E.ON die in der Thüga-Holding gebündelten Minderheitsanteile an Kommunalversorgern ab.
Kommunale Versorger auf dem Vormarsch
Nach Angaben des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) wurden seit 2007 mehr als 30 Stadtwerke neu gegründet und gut 100 alte Konzessionsverträge von den Stadtwerken neu gewonnen. In Berlin soll in diesem Jahr ein kommunaler Versorger gegründet werden, in Hamburg gibt es seit 2009 das städtische Unternehmen "Hamburg Energie", das künftig ökologischen Strom selbst produzieren will. Die örtliche Nähe zu den Verbrauchern und der heimischen Wirtschaft sei das entscheidende Argument, sagt der VKU.
Kritiker warnen vor Rückschritt
Die Meinungen über den Trend zur sogenannten Rekommunalisierung sind gespalten. Kritiker sprechen von einem Rückschritt in Zeiten vor der Liberalisierung des Energiemarktes 1998. Zu viele politische Entscheider kämen ans Werk, Größenvorteile fielen weg, sagen sie. "Wie soll das rentabel sein, wenn jeder sein eigenes Ding machen will", heißt es oft hinter vorgehaltener Hand. Zudem sei unklar, wie die klammen Kommunen die notwendige Modernisierung etwa der Stromnetze finanzieren wollten.
Nach Ansicht von Stephan Werthschulte, Energieexperte bei der Unternehmensberatung Accenture, spiegelt die Rekommunalisierung einen bedenklichen Zeitgeist hin zu mehr Staat und weniger Privatwirtschaft wider. "Wir bestimmen lieber wieder über uns selber - so denken derzeit viele Bürger", sagt er. Die politischen Akteure feierten das Zurückholen von Energieunternehmen in die Arme des Staates als Siege. Das sei aber gefährlich, die wirtschaftlichen Herausforderungen änderten sich durch einen Eigentümerwechsel nicht. "Diese Entwicklung muss hinterfragt werden, da sie die Liberalisierung teilweise ad absurdum führt", sagt Werthschulte.
Auch Volker Rothenpieler von der Hamburger Unternehmensberatung Putz & Partner warnt vor einem Rückfall in altes Kirchturmdenken. Die Vision eines integrierten Stadtwerkes will er aber nicht verteufeln. Es könnten sich neue Synergien ergeben, indem etwa Strom, Gas, Verkehr und Wasser und neue Angebote wie zum Beispiel Elektromobilität aus einer Hand angeboten werden. "Allein für das Kundenmanagement ergeben sich da gute Chancen. So sind Synergieeffekte durchaus auch dezentral zu erreichen." Aber auch untereinander suchen die Stadtwerke Kooperationen. So ist das erklärte Ziel der Thüga-Gruppe etwa, gemeinsame Investitionen voranzutreiben.
Energiekonzerne: Thema wird überbewertet
Die großen Energiekonzerne halten sich bedeckt. Das Thema sei völlig überbewertet, heißt es. Ab und zu verliere das Unternehmen ein paar Konzessionen, die Mehrzahl der Verträge bleibe aber bestehen, betont etwa E.ON. "Wir spüren den Wettbewerb", räumt RWE immerhin ein. Daher versuche der Versorger zusammen mit den Kommunen Lösungen zu finden, von denen beide Seiten profitierten. Etwa, indem RWE als Dank für eine Vertragsverlängerung den Kommunen Wissen bei Erneuerbare-Energien-Projekten zur Verfügung stellt. Zudem bleiben die Kosten niedriger, wenn die Netze in großen Einheiten betrieben werden. Bei RWE mischen Kommunen sogar direkt mit. Rund ein Viertel der Aktien des Konzerns ist in kommunalem Besitz.