Regierung prüft Verlängerung der AKW-Laufzeiten auf 60 Jahre
Stand: 29.03.2010
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Berlin - Mit ihren Prüfaufträgen, die Laufzeiten einzelner Atomkraftwerke im Extremfall auf bis zu 60 Jahre zu verdoppeln, hat die schwarz-gelbe Bundesregierung für Aufregung gesorgt. Opposition und Umweltschützer sprachen am Freitag angesichts möglicher Laufzeiten bis zum Jahr 2050 von "Lobbyismus" für die Energie-Konzerne. Sie warnten vor enormen Sicherheitsrisiken, wenn Laufzeiten um 28 Jahre gegenüber der aktuellen Rechtslage verlängert würden. Die Bundesregierung bestritt jede Vorentscheidung für eine Verlängerung der Regellaufzeit von derzeit 32 um weitere 28 Jahre. Es handele sich nur um Rechen-Modelle zwischen 4 und 28 Jahren Verlängerung, um den Strombedarf und die künftige Produktion für eine sichere Energie-Versorgung ermitteln zu können, so Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans.
Während die Koalition damit langfristig mehr Atommüll produziert, soll nach zehnjähriger Pause jetzt auch die Erforschung des niedersächsischen Salzstocks Gorleben als Endlager für die stark strahlenden Brennstäbe wieder aufgenommen werden. Dies bekräftigten die Abgeordneten von CDU/CSU und FDP im neuen Untersuchungsausschuss, der sich am Freitag konstituierte. Die Ausschuss-Arbeit dort soll Mitte April beginnen. Die Opposition will geklärt wissen, ob bei der Vorauswahl von Gorleben Anfang der 80er Jahre die damalige Regierung Helmut Kohl (CDU) getrickst hat, um Warnungen von Forschern gegen den Standort in den Wind zu schlagen. Die Koalition bestreitet das.
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) bekräftigte im Südwestrundfunk (Samstag) die Absicht, die Prüfung Gorlebens offen zu gestalten. Sollte zehn Jahre später festgestellt werden, dass der Standort nicht geeignet sei, müsse man andere Gesteinsformationen unter die Lupe nehmen. Röttgen war deshalb bereits von den beiden unionsgeführten Regierungen der infragekommenden Standortländer Baden-Württemberg und Bayern heftig angegriffen worden.
Das Thema Atomkraft dürfte nach Expertenaussage auch zunehmend auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai ausstrahlen. NRW- Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) pochte im "Handelsblatt" (Freitag) zwar auf eine Laufzeitverlängerung, kündigte aber ein "neues, dezentrales Energiesystem" mit dem Ausbau von Ökoenergien an. "Kernenergie hat in Deutschland keine hohe Akzeptanz. Deshalb hat der Bundesumweltminister Recht, wenn er sagt, dass sich die Entscheidung über die Laufzeitverlängerung aus der Frage der Sicherheit und der Frage des künftigen Energie-Mixes ableiten muss und nicht aus einer Gegenleistung", sagte Rüttgers, in dessen Land kein einziger Atommeiler steht.
Die Führung der Unionsfraktion hatte der Bundesregierung vor Tagen aufgegeben, in die Modellrechnungen auch die Laufzeitverlängerung um 28 Jahre einzubeziehen. Dies soll jetzt verglichen werden mit jeweils 4, 12 und 20 Jahren. Das diene der Vorbereitung des Energiekonzepts, das im Juni in einem Zwischenbericht im Kabinett beraten und im Oktober dort entschieden werden soll, betonte Steegmans. Es gebe aber noch keine Präferenz für ein Modell. Röttgen war kürzlich mit dem Vorschlag, die Kernkraftwerke nur acht Jahre bis 2030 länger laufen zu lassen, auf erheblichen Widerstand in den eigenen Reihen gestoßen. Nach dpa-Informationen aus der Union lenkte er inzwischen ein, auch wenn laut Umweltministerium selbst die Variante eines Verzichts längerer Laufzeiten - mindestens theoretisch - immer noch offen ist.
Ein Sprecher des Röttgen-Ressorts sagte: "Die Frage der Sicherheit ist ja das Ausschlaggebende." Das müsse einzeln geprüft werden. "Es ist danach völlig offen, ob es eine Verlängerung gibt, ob einzelne AKW länger laufen und andere kürzer." Der Naturschutzbund (Nabu) erklärte dazu: "Bevor der erste Wissenschaftler seinen Rechner anstellt, hat die Koalition bereits festgelegt, das die Atomreaktoren in Deutschland länger laufen sollen als gesetzlich vereinbart."
SPD-Chef Sigmar Gabriel warnte vor einem Weiterbetrieb der "ältesten Schrottmeiler" um 28 Jahre. "Das ist brutaler Lobbyismus. Es geht allein darum, dass ein Betreiber mit einem alten Atomkraftwerk eine Million Euro am Tag verdient", sagte der frühere Umweltminister im Deutschlandradio Kultur. Dabei verwies er auf die immer wieder auftretenden Probleme in Reaktoren wie Krümmel, Biblis und Brunsbüttel sowie die offene Endlagerfrage. Röttgens Vorvorgänger im Amt, Jürgen Trittin (Grüne) erklärte dazu: "Jede der alten Atomanlagen wie Neckarwestheim und Biblis A hat über 400 Störfälle in 30 Jahren zu verzeichnen." Jede dieser Anlagen blockiere zugleich den Ausbau erneuerbarer Energien. "Trotz Einspeisevorrang stehen in Deutschland Windparks still, damit Atomkraftwerke laufen können."
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