Berlin (AFP) - Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) haben am Wochenende vor einem übereilten Verkauf des Stromnetzes von E.ON gewarnt. Scheer forderte, dass eine öffentliche Netzbetriebsgesellschaft unter gemeinsamer Trägerschaft des Bundes und der Länder Eigentümer aller Stromübertragungsnetze werden sollten. Stromnetze seien unverzichtbarer Bestandteil der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge, ebenso wie Straßen und Schienen, erklärte Scheer in Berlin. E.ON-Chef Wulf Bernotat schlug in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit dem "Spiegel" die Gründung einer Netz AG vor.
Der Vorstand des vzbv, Gerd Billen, warnte vor einem "kurzfristigen Verkauf an Gazprom & Co. und ohne klare Kriterien". Damit würde dem Energiemarkt und den Kunden ein "Bärendienst" erwiesen, sagte Billen dem Bremer "Kurier am Sonntag" mit Verweis auf ausländische
Energieunternehmen wie den russischen Staatskonzern Gazprom. Entscheidend sei, "dass auch der neue Besitzer in Qualität und Ausbau investiert". Die Bundesregierung sei jetzt gefordert, diese Zukunftschance zu ergreifen. "Wenn jetzt die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden, bedeutet dies am Ende mehr Qualität, mehr Wettbewerb und stabile Preise."
Scheer forderte die Bundesregierung auf, den angekündigten Verkauf des E.ON-Hochspannungsnetzes zum Anlass zu nehmen, nun endlich in den Stromkonzernen die Eigentumsentflechtung von Stromproduktion und Übertragungsnetz voranzutreiben. Die Entflechtung werde von der EU-Kommission gefordert, aber von der Bundesregierung bislang abgelehnt. "Diese Haltung der Bundesregierung war von vorneherein untragbar und ist nun erst recht untragbar geworden. Nur mit einer solchen Entflechtung ist ein funktionierender
Strommarkt denkbar", erklärte Scheer.
Die Übernahme der Stromnetze durch die öffentliche Hand könnten Scheer zufolge über die Netznutzungsgebühren
refinanziert werden. Eine öffentliche Netzgesellschaft sei zudem neutral gegenüber allen Stromproduzenten und könne behördlich zum Netzerhalt und -ausbau verpflichtet werden. Der gegenwärtige Zustand des Netzes ist Scheer zufolge "vielfach besorgniserregend, weil die Stromkonzerne zugunsten kurzfristiger Renditeinteressen jahrlang ihre Netzinvestitionen vernachlässig haben".
Deutschlands größter
Stromversorger E.ON hatte am Donnerstag überraschend angekündigt, sein Netz verkaufen zu wollen, damit die EU-Kommission im Gegenzug Kartellverfahren gegen das Unternehmen einstellt. E.ON-Chef Bernotat sagte dem Hamburger Nachrichtenmagazin "Spiegel", er werde in den nächsten Wochen Vorschläge für die weitere Zukunft der
Stromnetze in Deutschland unterbreiten. Mit der Gründung einer Art Netz AG, an der sich verschiedene Investoren beteiligen könnten, bleibe "die für die Versorgungssicherheit äußerst wichtige Infrastruktur zumindest im Einflussbereich der Regierung".