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Neun Monate nach Stromausfall: "Schneechaos-Kinder" im Münsterland

Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: dpa

Münster (dpa) - Ganz zärtlich hält Alice Dircks ihren Sohn im Arm. Der kleine Paul-Hugo ist erst wenige Stunden auf der Welt und der ganze Stolz der 35 Jahre alten Mutter. "Paul-Hugo ist mein erstes Kind, ich freue mich wirklich sehr", erzählt sie strahlend. Vor neun Monaten habe sie es sich mit ihrem Mann zu Hause in Rheine in Nordrhein-Westfalen gemütlich gemacht - genau zu dem Zeitpunkt, als das verheerende Schneechaos über das Münsterland hereinbrach. Das Ergebnis der stromfreien Tage zeigt sich derzeit auf den Entbindungsstationen der Krankenhäuser.

250 000 Menschen in den Kreisen Steinfurt, Borken und Coesfeld waren im November tagelang ohne Strom. Bei Kerzen und Kaminfeuern rückten viele offenbar enger zusammen. Einige Krankenhäuser und Standesämter im Münsterland melden derzeit deutlich mehr Geburten als sonst. Bei der Schwangerschaft von Alice Dircks habe das Wetterchaos durchaus Pate gestanden. "Ich kam von einer Dienstreise und hatte meinen Mann drei Wochen lang nicht gesehen", sagt die junge Mutter. Wegen der Schneemassen hätten die beiden nichts unternehmen können. "Dann kann man sich ja vorstellen, was man macht."

Andere Paare im Münsterland dachten offenbar ähnlich. In der Kreisstadt Steinfurt wird im September mit deutlich mehr Entbindungen gerechnet. "Wir haben monatlich etwa 50 Geburten. In den nächsten Wochen werden es wahrscheinlich 65 sein. Das lag wohl am Stromausfall", sagt Standesbeamtin Gudrun Frahling. Einen vergleichbaren Baby-Zuwachs habe es in den vergangenen acht Jahren nicht gegeben. In Zeiten sicherer Verhütungsmittel und moderner Familienplanung sei eine solche Entwicklung natürlich ungewöhnlich. "Aber vielleicht haben sie die Dinger im Dunkeln ja nicht gefunden", meint die Standesbeamtin schmunzelnd.

Auch im Krankenhaus von Ahaus sprechen die Mitarbeiter schon von "Schneechaos-Kindern". In anderen Orten hingegen sind die Geburtenzahlen im Vergleich zu anderen Jahren eher zurückgegangen, heißt es. Mehr Geburten seien auch in den nächsten Wochen nicht zu erwarten. "Dass ein Stromausfall neun Monate später zum einem Babyboom führt, ist vielleicht auch ein bisschen weit hergeholt", sagt die Coesfelder Standesbeamtin Marianna Wiesmann und wiegelt ab.

Noch mehr Zweifel hat Stephan Schonhoven, Sprecher des Marienhospitals Steinfurt. "Ich bin sehr skeptisch, dass bei eisiger Kälte und ohne Lebensmittel überhaupt die richtige Lust aufkommt." Für eine Schwangerschaft müssten zahlreiche Faktoren stimmen. "Eine Befruchtung klappt nicht so einfach. Oder soll der Stromausfall jetzt auch noch den Eisprung der Frau ausgelöst haben?", merkt Schonhoven ironisch an. Manfred Wiggenhorn vom Ordnungsamt Ochtrup hatte im November für Romantik bei Kerzenschein sowieso nicht viel übrig. "Ich war im Katastrophenschutz, da hatte ich für so etwas keine Zeit."

In den USA scheiden sich ebenfalls bis heute die Geister, ob der große Blackout in den sechziger Jahren in New York und anderen großen Städten des Nordostens zu einem Babyboom geführt hatte. Der gleichen Diskussion im Münsterland steht Stromversorger RWE Westfalen-Weser- Ems, dessen Masten im November zusammenbrachen, ganz neutral gegenüber: "Die Menschen hatten eine schwierige Zeit. Wenn jetzt dort mehr Kinder geboren werden, ist das doch ein positives Ergebnis einer unschönen Erinnerung", meint Pressesprecher Klaus Schultebraucks.

Eine Schwangerschaft kann bis zu zehn Monate (40 Wochen) nach der Befruchtung dauern. Bis Ende September könnten also noch weitere "Schneechaos-Kinder" im Münsterland das Licht der Welt erblicken.