Merkel kündigt Sicherheits-Check für deutsche Kernkraftwerke an
Stand: 14.03.2011
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Berlin/Hamburg - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat angesichts des Atomalarms in Japan angekündigt, dass die Sicherheitsstandards in deutschen Atomkraftwerken überprüft werden sollen. "Die Geschehnisse in Japan, sie sind ein Einschnitt für die Welt", so Merkel nach einem Krisentreffen am Samstagabend im Kanzleramt. "Das ist eine außergewöhnlich ernste Situation." SPD, Grüne und Linke forderten eine Rücknahme der Laufzeitverlängerung, welche im Herbst von Schwarz-Gelb beschlossen worden war, sowie ein Abschalten älterer Anlagen. Die Koalition lehnt dies ab. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) bezeichnete die Atomkraft in Deutschland als "Auslaufmodell".
Wenn in einem hoch entwickelten Land wie Japan mit höchsten Sicherheitsstandards ein solcher Unfall passiere, könne auch Deutschland nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, betonte Merkel. Mit der Bemerkung, es sei zu früh, Schlussfolgerungen zu ziehen, wandte sie sich gegen die rasche Stilllegung deutscher Atommeiler und eine Diskussion über den Sinn der beschlossenen Laufzeitverlängerung um durchschnittlich zwölf Jahre. Für diese Woche kündigte sie eine Debatte im Bundestag zu den Konsequenzen des Atom-GAUs in Japan an. Das Thema müsse zudem auf die Tagesordnung der EU-Fachminister.
Opposition fordert Abschaltung älterer Kraftwerke
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kritisierte Merkels Ankündigung einer Überprüfung der Sicherheitsstandards. "Es ist eine zweideutige Botschaft, auf der einen Seite zu behaupten, deutsche Anlagen seien sicher, auf der anderen Seite eine Überprüfung anzukündigen, wie es die Kanzlerin tat", sagte er. "Kein Reaktor der Welt, auch keiner in Deutschland, ist für den Fall einer Kernschmelze ausgelegt." Und: "Eine Nachrüstung ist nicht vorstellbar." Grünen-Chefin Claudia Roth geißelte die Atomkraft als "nicht beherrschbare hochgefährliche Risikotechnologie".
Ähnlich argumentierte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Auch er forderte die sofortige Abschaltung älterer deutscher Atomkraftwerke, konkret Brunsbüttel und Biblis A. Andere wie Philippsburg I, Unterweser oder Krümmel sollten 2012 folgen. Sie seien gegen Flugzeugabstürze am schlechtesten geschützt. Ein Super-GAU sei auch in Deutschland "keine rein theoretische Rechengröße". Stromausfälle wie in Japan seien auch hierzulande möglich, wenn auch nicht aufgrund eines Erdbebens.
In Stuttgart demonstrierten am Samstag bis zu 60.000 Menschen gegen die beschlossene Laufzeitverlängerung, in Baden-Württemberg wird am 27. März gewählt. Am Sonntag gab es Proteste im niedersächsischen Gorleben. Für Montag kündigten Initiativen in mehr als 130 deutschen Orten "Anti-Atom-Mahnwachen" an.
Merkel: Deutsche AKW sind sicher
Kanzlerin Merkel betonte, die deutschen Kernkraftwerke seien sicher und Sicherheit bleibe für sie das oberste Gebot ihres Handelns. "Es ist nach menschlichem Ermessen nicht vorstellbar, dass Deutschland von den Auswirkungen des Unglücks in Japan betroffen sein könnte." Unions-Fraktionschef Volker Kauder warnte vor "politischen Schnellschüssen". "Alle Sicherheitsstandards müssen jetzt im Zusammenspiel von Bund und Ländern auf den Prüfstand - und zwar rasch und gründlich. Besonders natürlich gilt das für die Frage der Notstromversorgung", sagte er der "Bild"-Zeitung (Montag).
"Nicht die Zeit für parteipolitische Debatten"
FDP-Chef Guido Westerwelle erklärte, angesichts des tausendfachen Leids sei nicht die Zeit für parteipolitische Debatten über die Risiken der Atomkraft. Er betonte aber, dass wegen der Geschehnisse in Fukushima möglicherweise besonders die Kühlsysteme in den 17 deutschen Akw unter die Lupe genommen werden könnten. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger sagte, die Frage nach einem Abrücken von der Laufzeitverlängerung stelle sich im Moment nicht.
Auch Umweltminister Röttgen lehnte angesichts der Schreckensbilder aus Japan eine schnelle innenpolitische Debatte ab. Er räumte aber ein, dass sich auch für Deutschland die Frage der Beherrschbarkeit der Atomrisiken stelle. In den ARD-"Tagesthemen" sagte Röttgen, die Regierung betrachte die Kernkraft "als Brücke, das heißt, sie ist ein Auslaufmodell." Die Ereignisse hätten bewusst gemacht, "dass wir eine andere Energieversorgung brauchen."
Die Bundesregierung habe die Laufzeiten für Altreaktoren ohne Nachrüstungen verlängert, obwohl Sicherheitsmängel bekannt seien, kritisierte Greenpeace-Atomexperte Tobias Riedl. "Jede vollständige Überprüfung der Sicherheitsstandards der deutschen Atomkraftwerke kann nur zu einem Ergebnis führen: Die besonders gefährlichen und heute nicht mehr genehmigungsfähigen Uraltmeiler wie beispielsweise Krümmel, Biblis A, oder Neckarwestheim 1 müssen sofort vom Netz."
Nach Einschätzung der Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wäre es dagegen falsch, als Reaktion auf die nukleare Katastrophe in Japan jetzt auf kürzere Laufzeiten für deutsche Kernkraftwerke zu setzen. In dem Fall müssten Kernkraftwerke so lange durch neue Kohlekraftwerke abgelöst werden, bis mit erneuerbaren Energien Versorgungssicherheit gewährleistet werden könne, sagte sie dem "Handelsblatt Online".