Koalition stellt Weichen: Atomenergie nur Übergangslösung
Stand: 19.10.2009
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Berlin - Die Proteste der Atomkraftgegner nehmen angesichts der Weichenstellung von Union und FDP für längere AKW-Laufzeiten zu. Die Verhandlungen der künftigen schwarz-gelben Koalition wurden am Sonntag von einer Sitzblockade begleitet, die von der Polizei aufgelöst werden musste. Die Grünen rechnen mit weiteren Protesten und wollen sie begleiten. Union und FDP verständigten sich am Samstag grundsätzlich auf ihren Kurs in der Atompolitik und einen Ausbau der Öko-Energien. Die Kernenergie soll demnach nur eine Übergangslösung sein.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sieht auf Schwarz-Gelb massiven Widerstand zukommen. "Wir werden dabei sein, wenn demonstriert wird", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel am Sonntag". Er sieht die Branche der erneuerbaren Energien mit rund 280.000 Arbeitsplätzen in Gefahr und rechnet deshalb mit Protesten auch von den Beschäftigten und den Gewerkschaften.
Die Atomkraft solle nur eine Übergangstechnologie sein, betonte Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Die Betriebsdauer der Kernkraftwerke soll verlängert werden - genaue Laufzeiten stehen aber weiterhin nicht fest. "Wir haben einen großen Schwerpunkt, und das ist ein wesentlicher Schwerpunkt, auf die regenerativen Energien gelegt." Ziel sei, dass die Atomkraft "auch irgendwann verzichtbar ist".
Rund 20 Demonstranten setzten sich vor der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin trotz Polizeisperren auf den Boden und blockierten den Eingang des Tagungsortes von Union und FDP. Sie wurden von der Polizei auf den Gehweg getragen. Die Organisation "Ausgestrahlt" forderte die Stilllegung von Atommeilern. "Die heutige Aktion (...) hat nur einen Vorgeschmack auf die Auseinandersetzung geliefert", sagte Sprecherin Luise Neumann-Cosel.
Am Samstag hatten hunderte Atomkraftgegner die Verhandlungen in Berlin mit einer Menschenkette "umzingelt". Die Polizei zählte 400 Teilnehmer, die Organisatoren sprachen von 500. Sie hatten ein rund einen Kilometer langes Transparent dabei. Im niedersächsischen Hitzacker - in der Nähe des Atommüll-Zwischenlagers Gorleben - demonstrierten rund 450 Atomkraftgegner. Etwa 100 Menschen protestierten in der Nacht zum Sonntag vor dem Erkundungsbergwerk in Gorleben.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte, den Atomausstieg nicht rückgängig zu machen. "(Kanzlerin Angela) Merkel und (FDP-Chef Guido) Westerwelle zeigen Bereitschaft, sich vor den Karren der Stromkonzerne spannen zu lassen", sagte Greenpeace-Energieexperte Tobias Münchmeyer.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast rief zu einem Boykott der Energiekonzerne EnBW, E.ON, RWE und Vattenfall auf. "Kauft Ökostrom", sagte sie der "Saarbrücker Zeitung" (Montag). Künast warf Schwarz- Gelb vor, nur an Zusatzgewinne der Stromkonzerne zu denken. "Wir werden mit einer neuen Anti-AKW-Bewegung antworten, die qualitativ anders als früher sein wird." Nach Grünen-Angaben bringen längere Laufzeiten pro Meiler eine Million Euro mehr Profit pro Tag.
Union und FDP ringen noch, ob die Kernkraftwerke pauschal zehn Jahre länger laufen sollen oder ob dies nach Einzelfall entschieden wird. Die Steuerpolitiker von Union und FDP wollen, dass der Bund den Großteil der Milliarden-Zusatzgewinne der Energiekonzerne abschöpft und teilweise zum Ausbau der Öko-Energien verwendet. Geplant sind auch strenge Sicherheitsstandards.
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