Kernfusion: Forschungsreaktor könnte Land und Leute verstrahlen
Stand: 27.07.2012
Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: dapd
Greifswald - Die Erfüllung des Traums von der Energiegewinnung durch Kernfusionen ist derzeit noch in weiter Ferne. In Greifswald entsteht derzeit ein Forschungsreaktor, der die Technologie voranbringen soll. Doch der BUND kritisiert, dass der Bau nicht sicher ist.
Kritik am millionenschweren Greifswalder Kernfusionsreaktor "Wendelstein 7-X": Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat gravierende Sicherheitsbedenken gegen die umstrittene Forschungsanlage, die in rund zwei Jahren in Betrieb gehen soll. Angesichts mehrerer Baumängel könnten Mitarbeiter und Bürger "gesundheitsschädlicher Strahlenbelastung ausgesetzt werden", sagte Mecklenburg-Vorpommerns stellvertretender BUND-Vorsitzender Thomas Blaudszun am Donnerstag in Schwerin. Der Verband prüfe nun juristische Schritte, um die Vorbereitungen zum Betrieb zu verhindern.
Der Betreiber des Forschungsreaktors, das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, wies die Vorwürfe zurück. Auch die Aufsichtsbehörde sieht derzeit keine Gefahr für die Bevölkerung. Eine Betriebsgenehmigung könne jedoch erst erteilt werden, wenn alle Vorgaben zum Bau erfüllt würden. Das sei momentan nicht ausreichend nachgewiesen, hieß es. Linkspartei und Grüne forderten eine zügige Aufklärung möglicher Sicherheitsmängel.
Im Forschungsreaktor soll die Energiegewinnung aus der Fusion von Atomkernen getestet werden. Ähnliche Vorgänge laufen auch an der Sonnenoberfläche ab. Der Reaktor in Greifswald wird von der Europäischen Union, dem Bund und dem Land Mecklenburg-Vorpommern finanziert. Laut Max-Planck-Institut kostet die Anlage 370 Millionen Euro.
Hallentore sollen Neutronenstrahlung abschirmen
Nach Angaben des BUND wurde bei der Errichtung gegen wichtige Sicherheitsstandards verstoßen. So gehe aus den Akten des bisherigen Genehmigungsverfahrens hervor, dass die Hallentore nicht ausreichend gegen den Austritt der im Betrieb entstehenden Neutronenstrahlung abgeschirmt seien und der verwendete Strahlenschutzbeton fehlerhaft sei. Zudem soll das Dach der erst vor wenigen Jahren errichteten Experimentalhalle bereits Risse aufweisen.
Das Max-Planck-Institut hingegen erklärte, es habe "nicht den geringsten Zweifel, alle behördlichen Auflagen zum Strahlenschutz erfüllen zu können und Strahlengefahren für Anwohner oder Mitarbeiter auszuschließen". Die Hallenwände aus Beton würden Röntgenstrahlung und Neutronen sicher abschirmen. Das gelte trotz kleiner Risse auch für die Decke. Die Betonqualität der Hallentore werde durch ein Gutachten "derzeit verifiziert".
Nach Angaben der Aufsichtsbehörde hat das Institut bereits im vergangenen Jahr Unterlagen zur Zusammensetzung des Betons eingereicht. Diese seien jedoch nicht ausreichend, sagte der Direktor des Landesamts für Gesundheit und Soziales, Heiko Will. Deswegen müsse nun "nachgearbeitet werden". Dazu soll nun ein unabhängiges Gutachten eingeholt werden, "um letzte Sicherheitsbedenken auszuräumen". Nur dann könne der Betrieb erlaubt werden. Die Risse in der Hallendecke hält das Landesamt für unproblematisch.
Der BUND warf dem Sozialministerium als übergeordneter Behörde vor, die Anlage "mangelhaft und nachlässig" zu überwachen. Seit Jahren sei die unzureichende Qualität des Betons bekannt, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Blaudszun. "Das Ministerium hat es dann versäumt, den eigenen Bescheid zurückzunehmen."
Experimente frühestens im Jahr 2014
Laut Landesamt für Gesundheit und Soziales gibt es jedoch keine Fristen, wann die Auflagen zum Bau erfüllt sein müssen. Ein Ministeriumssprecher sagte, Sicherheitsfragen stünden für seine Behörde "an oberster Stelle".
Das Großprojekt befindet sich nach Angaben des Max-Planck-Instituts derzeit in der Endmontage. Voraussichtlich im Jahr 2014 soll das Reaktorgefäß abgepumpt werden, um ein Ultrahochvakuum zu erzeugen. Anschließend muss die Anlage binnen drei bis vier Wochen auf etwa minus 270 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Erst danach beginnen die eigentlichen Tests, bei denen in der 725 Tonnen schweren Plasmakammer ein Magnetfeld aufgebaut wird.
Laut Institut werden die Neutronen genauso erzeugt wie in vergleichbaren Anlagen, die bereits laufen. So werde etwa in Garching bei München seit mehr als 20 Jahren "routinemäßig und sicher" experimentiert.