Kabinett beschließt Atomausstieg bis 2022
Stand: 06.06.2011
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Berlin - Das Bundeskabinett hat ein sofortiges Aus für acht Atomkraftwerke sowie den stufenweisen Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 beschlossen. In einer Sondersitzung stimmten die Regierungsmitglieder am Montagmorgen für eine entsprechende Neufassung des Atomgesetzes. Zudem wurden mehrere Gesetze verabschiedet, mit denen der Netzausbau vorangetrieben und bis 2020 ein Ökostromanteil von 35 Prozent erreicht werden soll. Die Fördermittel für energiesparende Gebäudesanierungen hob das Kabinett auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ab 2012 an.
"Das ist gesellschaftliches Pionierprojekt und ein Meilenstein", sagte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU). Das Kampfthema Atom werde endgültig befriedet. Damit steigen die Chancen, dass SPD und Grüne die Fukushima-Kehrtwende von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mittragen.
Röttgen betonte, dass der angepeilte Ökostrom-Anteil von 35 Prozent bis 2020 nur ein Mindestziel ist. Eine Verdoppelung im Vergleich zu heute sei eine anspruchsvolle Zielmarke, die auch übertroffen werden könne. Die Opposition fordert, dass in zehn Jahren schon 40 Prozent Ökostrom zur Verfügungen stehen müssten. Mit Blick auf die Atommüll-Endlagerung sprach Röttgen von einer fundamentalen "Änderung der jahrzehntelangen Kampflage", weil bundesweit nach Alternativen zu Gorleben gesucht werden soll.
Ausbau der Stromnetze beschleunigen
Knackpunkt der schwarz-gelben Energiewende ist der Netzausbau. Die Planungs- und Bauzeit für neue Stromautobahnen soll nach dem Willen von Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) von 10 auf 4 Jahre reduziert werden. Die Verbraucher müssten sich auf moderat höhere Strompreise einstellen. Rösler sprach von 35 bis 40 Euro im Jahr für einen vierköpfigen Haushalt.
Umgekehrt will die Regierung Millionen Haus- und Wohnungsbesitzer bei der Öko-Sanierung stärker unterstützen. Ab 2012 soll es dafür jährlich 1,5 Milliarden Euro geben. Zudem können zehn Prozent der Kosten für die energetische Sanierung von der Steuer abgesetzt werden, ein Volumen von weiteren 1,5 Milliarden.
SPD signalisiert Zustimmung
Die SPD signalisierte Zustimmung zum neuen Atomgesetz. "Ein Konsens über den Atomausstieg in Deutschland ist möglich", sagte der SPD-Fraktionsmanager Thomas Oppermann in der ARD. Bereits bis 8. Juli soll das geänderte Atomgesetz Bundestag und Bundesrat passiert haben, um rasch in Kraft treten zu können.
Die Grünen warten noch ab und wollen notfalls einen Sonderparteitag am 25. Juni über einen Konsens mit Merkel entscheiden lassen. Umweltverbände kritisieren, der Ausstieg sei nicht ambitioniert genug. Greenpeace fordert ihn bis 2015.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle attackierte die Grünen. "Ich fordere die Grünen auf, mit ihrem Eiertanz aufzuhören." Die "Dagegen-Partei" müsse aus ihrem Schmollwinkel heraus und die Pläne für neue Netze und Kraftwerke unterstützen.
Schrittweise Stilllegung der Atomkraftwerke
Eines der acht Alt-AKW, die sofort stillgelegt werden, soll möglicherweise bis 2013 noch in Bereitschaft gehalten werden für den Fall von Stromengpässen im Winter. Ob ein solches "Stand By"-AKW nötig ist, soll die Bundesnetzagentur in den nächsten Wochen entscheiden.
Die übrigen neun Meiler sollen nach folgendem Zeitplan bis Ende 2022 vom Netz gehen: 2015 Grafenrheinfeld (Bayern), 2017 Gundremmingen B (Bayern) und 2019 Philippsburg II (Baden-Württemberg), 2021 Grohnde (Niedersachsen), Brokdorf (Schleswig-Holstein) und Gundremmingen C (Bayern). Als letzte Kernkraftwerke würden 2022 Isar II (Bayern), Neckarwestheim II (Baden-Württemberg) und Emsland (Niedersachsen) abgeschaltet.
Konzerne zweifeln an Rechtmäßigkeit von Abschaltung
Die Energiekonzerne zweifeln, ob die geplante stufenweise Abschaltung der neun verbleibenden Kernkraftwerke juristisch wasserdicht ist. Durch die Verkürzung der Laufzeiten werde "ein Verstromen der Altmengen beinahe unmöglich", erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus dem Umfeld eines Energiekonzerns. Dabei geht es darum, ob bis zum jeweiligen Abschaltdatum die bereits früher zugestandenen Strommengen produziert werden können.
Dürfen die Konzerne vertraglich zugesicherte Strommengen nicht mehr produzieren, könnte dies als Eingriff in ihre Eigentumsrechte gewertet werden - dem Staat könnten hohe Entschädigungsforderungen drohen. Mit Blick darauf lassen Konzerne nach dpa-Informationen bereits Juristen Vermögensschäden prüfen. Die Regierung hält die Art und Weise des Atomausstiegs jedoch für rechtssicher.