Investoren für neue Gaskraftwerke gesucht
Stand: 17.06.2011
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München - Die ersten Stolpersteine auf dem Weg zur Energiewende liegen gleich am Anfang: Die Bundesregierung hat neue Gaskraftwerke als Ersatz für stillgelegte Atomkraftwerke fest einkalkuliert. Doch die meisten Stromversorger wollen gar keine neuen Gaskraftwerke bauen, weil es zu teuer wäre.
Der Energiewende droht bei der dringenden Suche nach Alternativen zu Atomkraftwerken ein großes Hindernis. Es fehlt nach dpa-Recherchen an willigen Investoren für die fest eingeplanten neuen Gaskraftwerke. Die großen Energiekonzerne winken ab, und für viele kommunale Stadtwerke ist das wirtschaftliche Risiko eines neuen Gaskraftwerks derzeit nicht kalkulierbar. Paradebeispiel ist Bayern, das Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) zum Vorreiter der Energiewende machen will.
Ersatzkapazitäten nicht in Sicht
Das Münchner Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass im Freistaat Gaskraftwerke mit einer Kapazität von 3000 bis 4000 Megawatt neu gebaut werden müssten, um die Stilllegung der fünf bayerischen Atomkraftwerke auszugleichen. Diese 3000 bis 4000 Megawatt Ersatzkapazität sind nicht in Sicht. Für Deutschland insgesamt hat die Bundesregierung ausgerechnet, dass bundesweit zehn Gigawatt Kraftwerksleistung neu gebaut werden müssen - mit Gas, Kohle und erneuerbaren Energien.
Seehofer malt die geplante Energiewende in den schönsten Farben: Der Strom soll grüner werden, bestimmt nicht teurer und möglicherweise sogar billiger. Vier bayerische Atomkraftwerke sind derzeit noch in Betrieb. Die Hälfte ihrer Stromproduktion will Seehofer durch erneuerbare Energien ersetzen, die andere Hälfte sollen zwei bis vier neue Gaskraftwerke beisteuern. "Wenn wir das nicht zustande bringen, wären wir kein hoch industrialisiertes Land, sondern ein Nachwächterstaat", sagte Seehofer am Freitag.
Wirtschaftlichkeit entscheidet
Derzeit sind in Bayern zwei neue Gaskraftwerke in Sicht, die aber die drohende Stromlücke allein nicht schließen werden. Im oberbayerischen Irsching soll im Sommer ein neuer Block mit einer Leistung von 555 Megawatt ans Netz gehen. Bis 2015 will der österreichische Konzern OMV im oberbayerischen Haiming - ganz in der Nähe des päpstlichen Geburtsorts Marktl - ein Gaskraftwerk mit 800 Megawatt in Betrieb nehmen. Daneben planen die Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm (SMU) derzeit ein neues Gaskraftwerk auf dem Gelände eines alten Fliegerhorsts im schwäbischen Leipheim. Doch das Leipheimer Projekt ist noch ganz im Anfangsstadium. "Ob das tatsächlich realisiert wird, hängt davon ab, ob sich das auch wirtschaftlich rechnet", sagt Sprecher Bernd Jünke.
Der Grund: Unter den derzeitigen Bedingungen ist völlig unklar, ob ein Gaskraftwerk nicht ein teures Verlustgeschäft wird. "Wir arbeiten momentan an keinen weiteren Plänen für neue Gaskraftwerke", sagt Eon-Sprecher Christian Orschler. Ein angedachtes bayerisches Projekt hat der Konzern schon zu den Akten gelegt: "Beim heutigen Stand sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass das wirtschaftlich nicht darstellbar ist", sagt Orschler dazu.
Mit Gaskraftwerken verdiene man zu wenig Geld
Die Konkurrenz von RWE wahrt Stillschweigen - doch Branchenkreise sagen, dass auch der Essener Konzern kein Interesse am Bau neuer Gaskraftwerke in Deutschland hat. "Mit Gaskraftwerken verdient man in Deutschland derzeit oft nur noch in den Wintermonaten zwischen 17 und 20 Uhr Geld", klagte RWE-Chef Jürgen Großmann im Frühjahr.
Denn der Rohstoff Gas ist im Einkauf teuer, der Bau eines Gaskraftwerks kostet eine hohe dreistellige Millionensumme. Verkaufen lässt sich teurer Gasstrom hauptsächlich im Winter und zu Spitzenzeiten morgens, mittags und am frühen Abend, wenn der Stromverbrauch am höchsten ist. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollen Gaskraftwerke hauptsächlich diese Spitzenlasten abdecken.
Öko-Strom hat Vorfahrt
Doch an diesem Punkt kommen die erneuerbaren Energien den Gaskraftwerken ins Gehege: Öko-Strom hat Vorrang, und genau zur Mittagszeit scheint auch die Sonne am stärksten. Die Energieversorger gehen deshalb davon aus, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien ihnen die Gaskalkulation verhagelt.
Wenn die großen Stromkonzerne absagen, kommen noch kommunale Stadtwerke als Betreiber infrage. Doch für einzelne Stadtwerke ist der Bau eines neuen Gaskraftwerks viel zu teuer, weswegen sich die kommunalen Unternehmen zusammenschließen. Bundesweit größter Zusammenschluss ist die Thüga-Gruppe. An der Thüga sind deutschlandweit 90 Stadtwerke beteiligt. Die Thüga sucht zwar im gesamten Bundesgebiet nach einem Standort für ein künftiges Gaskraftwerk - doch rechnen würde sich das nach derzeitigem Stand nicht. "Gaskraftwerke brauchen wirtschaftliche Rahmenbedingungen, aber die sind derzeit nicht gegeben", sagt Thüga-Sprecher Christoph Kahlen in München.
Bereitschaftszulage gefordert
Die Thüga fordert deshalb Zuschüsse des Bundes. Weil ungewiss ist, wieviel Strom Gaskraftwerke in der Zukunft überhaupt noch produzieren können, soll der Staat eine Art Bereitschaftszulage an die Betreiber zahlen. Faktisch müssten die deutschen Steuerzahler für die bloße Existenz eines Gaskraftwerks aufkommen - auch wenn dort die meiste Zeit des Jahres gar kein Strom produziert wird. Das Versprechen stabiler Strompreise im Zuge des Atomausstiegs hält die gesamte Branche für absurd.