In Marburg soll die Nutzung von Sonnenenergie Bürgerpflicht werden
Stand: 18.06.2008
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Marburg (AFP) - Umweltschutz soll in der Uni-Stadt Marburg in Mittelhessen zur Bürgerpflicht werden. Das Stadtparlament will dort am Freitag eine Solarsatzung verabschieden, die Bauherren die Nutzung von Sonnenenergie vorschreibt. Die rot-grüne Mehrheit für das bundesweit einmalige Projekt scheint sicher - Oppositionspolitiker freilich warnen vor einer "Ökodiktatur". Die umstrittene "solare Baupflicht" soll nicht nur für neue Häuser gelten: Die Satzung greift auch bei größeren Anbauten, beim Austausch der Heizanlage oder einer größeren Dachsanierung. Damit geht sie deutlich über Pläne der Bundesregierung hinaus, die die teilweise Nutzung erneuerbarer Energien nur für Neubauten vorschreiben will.
Als Ersatz für diese solarthermischen Anlagen soll auch die Stromerzeugung mit Photovoltaik-Anlagen zulässig sein, wenn dies besser zum Energiekonzept des Hauses passt. Auch Kraft-Wärme-Kopplung oder Energieeinsparung sind ersatzweise denkbar, etwa, wenn Hausdächer überwiegend im Schatten liegen. Unternehmen schließlich können sich von der solaren Baupflicht befreien lassen, wenn sie der Stadt ein anderweitiges Energiesparkonzept vorlegen.
Baudezernent Kahle freut sich über begeisterte E-Mails aus ganz Deutschland, deren Absender die Pläne loben. Doch natürlich gibt es auch Kritik. CDU und FDP, Hauseigentümer und Industrie - alle sind sie für den Umweltschutz, wollen aber lieber auf Überzeugungskraft und finanzielle Anreize setzen. "Mit Zwang erreicht man gar nichts", meint etwa der Hauseigentümerverband Haus und Grund. Deutlich schärfer fällt die Kritik der oppositionellen Marburger Bürgerliste aus: "Wir haben hier eine Ökodiktatur", sagte deren Stadtverordneter Hermann Uchtmann der Wochenzeitung "Die Zeit": "Aber niemand traut sich, etwas dagegen zu sagen."
In einer Stadt, in der ein Drittel der 80.000 Einwohner Studenten sind und ein weiteres Drittel an der Universität arbeitet, haben es Kritiker tatsächlich nicht leicht. Zahlreiche Anregungen von Kritikern wurden aber noch aufgenommen - zum Beispiel, um dem Denkmalschutz in der Stadt mit ihrem spätmittelalterlichen Kern mehr Gewicht zu verleihen. In besonderen Fällen sind hier Ausnahmen erlaubt, und für teure denkmalgerechte Lösungen gibt es zusätzliches Geld von der Stadt. Andere Bauherren dagegen verweist Kahle auf die ohnehin vorgesehenen Förderprogramme des Bundes.
Auch die Handwerkskammer sprach sich gegen die Solarsatzung aus - die Vertretung ausgerechnet jener "Normalbürger", die Kahle ausdrücklich "mitnehmen" und zudem auch mit Aufträgen versorgen will. Als weitere Argumente nennt die Satzung schließlich neben Umwelt- und Klimaschutz auch soziale Gründe. "Wenn künftig der Liter Heizöl drei Euro kostet, dann kann doch keiner mehr seine Heizkosten zahlen", sagte Kahle dem "Stern".
Das soziale Argument hat wohl auch einen rechtlichen Hintergrund. Denn anders als bei den sozialen Aufgaben sind die Befugnisse der Kommunen in Sachen Umweltschutz nur gering. Und die Gegner stehen längst in den Startlöchern, um die Solarsatzung vor Gericht anzugreifen. Eine von Kahle mit einem Gutachten beauftragte Energierechts-Kanzlei kam allerdings zu dem Ergebnis, dass die Solarsatzung auf hessisches Baurecht gegründet werden kann, und dass sie auch mit Bundesrecht vereinbar ist.
Wie die Gerichte letztlich entscheiden werden, hängt wohl auch davon ab, ob sich die Anlagen tatsächlich rechnen. Wenn ja, dann wäre der Eingriff in die Eigentumsrechte der Bauherren zumindest finanziell gesehen nur vorübergehender Natur. In einem anderen finanziellen Punkt hat Kahle bereits nachgegeben: Das bei Verstößen vorgesehene Bußgeld wurde von ursprünglich 15.000 auf jetzt 1000 Euro gesenkt.