Gorleben entgegen Expertenmeinungen zum Endlager auserkoren
Stand: 26.08.2009
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Berlin - Die Streitfrage über den Standort Gorleben als mögliches Endlager für hoch radioaktive Abfälle hat neue Nahrung erhalten. So soll laut einem Zeitungsbericht schon 1983 die damalige Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) Gorleben als Endlagerstandort entgegen dem Rat der Fachbehörde durchgedrückt haben. Unter ihrem Druck hätten die Experten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) ihre Bewertung umschreiben müssen, berichtet die "Frankfurter Rundschau" (Dienstag). Ihre zuvor geäußerten Bedenken gegen eine Untersuchung nur des Salzstocks Gorleben seien damit unter den Tisch gefallen.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Im Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) wurde die Existenz der Dokumente bestätigt. Die Anti-Atom-Initiative Lüchow-Dannenberg habe Akteneinsicht beim BfS beantragt und diese auch erhalten.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte, diese Details von vor 26 Jahren belegten, dass das Endlagerkonzept der Union "endgültig gescheitert" sei. "Die schwarz-gelbe Regierung Kohl hat sich bei ihrer Entscheidung für Gorleben als Atom-Endlager über massive fachliche Bedenken hinweggesetzt."
Für die CDU/CSU-Fraktion bekräftigte dagegen die Vize-Vorsitzende Katherina Reiche die Auffassung, dass weitere alternative Standorte zu Gorleben nicht geprüft werden sollten. "Alle bisher gewonnenen fachlich-wissenschaftlichen Erkenntnisse haben die Eignung von (...) Gorleben gezeigt." Weitere Suchschleifen führten nur zu weiteren Milliarden-Kosten, nachdem Gorleben schon 1,5 Milliarden verschlungen hat. Der Salzstock, dessen Erkundungsstopp seit 2000 im Jahr 2010 ausläuft, sollte von internationalen Experten untersucht werden.
Die Grüne EU-Atomexpertin Rebecca Harms forderte die Bürger auf, angesichts der "politischen Manipulation" der damaligen Endlager-Vorentscheidung erst recht am Treck der Anti-Atombewegung am 5. September nach Berlin teilzunehmen. Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin forderte: "Wir brauchen endlich einen Standortvergleich - und der wird gerade von denen blockiert, die die Menge des Atommülls noch vermehren wollen." FDP und Union lehnen die von Gabriel geforderte alternative Standortsuche für ein sicheres Endlager auch in Bayern und Baden-Württemberg ab.
Anti-Atom-Initiativen sehen sich durch die bekanntgewordenen Dokumente bestätigt. "Für uns wird deutlich, es gab eine politische Bevormundung der Fachbehörde", kritisierte die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg am Dienstag. "Die Gorleben-Lüge stürzt ein wie ein Kartenhaus. Der Salzstock muss endlich raus dem Pool fraglicher Endlagerstandorte."
Das Deutsche Atomforum, Lobby der Atomenergie-Konzerne, forderte hingegen Gabriel auf, er solle das Erkundungsmoratorium unverzüglich aufheben. "Erst mit Abschluss der ergebnisoffenen Erkundung wird feststehen, ob Gorleben geeignet ist oder nicht", erklärte das Forum.
Greenpeace-Experte Tobias Münchmeyer erklärte: "Das Lügengebäude ist zusammengekracht." Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe sich mit ihrer Fixierung auf Gorleben völlig verrannt. Sie müsse nun den Weg frei machen für eine offene Endlagersuche - "aber ohne Gorleben".
Die PTB-Behörde hatte sich laut "FR" nach ihr vorliegenden internen Dokumenten in einer ersten Bewertung der 1979 gestarteten Gorleben-Tiefbohrungen dafür ausgesprochen, wegen Unsicherheiten parallel "weitere Standorte" zu erkunden. Dabei wurde die Sorge geäußert, dass radioaktive Stoffe unter Umständen über den Salzstock ins Grundwasser gelangen könnten.
Am 5. Mai 1983 sei es zu einer Besprechung dieser Bewertung mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der Deutschen Gesellschaft für den Bau und Betrieb von Endlagern (DBE) - Interessenvertretung der Atomwirtschaft - gekommen. Die Ministeriumsvertreter hätten dann die PTB zur Änderung ihres Gutachtens aufgefordert, womit die Eignung von Gorleben als Endlager erklärt worden sei.
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