Gabriel wirft Union Atom-Lobbyismus vor
Stand: 30.06.2008
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Berlin (dpa) - Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die Union im Streit über den Atomausstieg attackiert und ihr Lobbyismus für die Stromindustrie vorgeworfen. "Dreister als die Union kann man diese Risikotechnologie nicht verharmlosen", sagte Gabriel in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in Berlin. Die Union will die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern, um damit mehr für den Klimaschutz zu tun und die Energiepreise zu senken. Damit betätige man sich als "Lobby für die Verbraucher", argumentierte Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU).
Dagegen betonte der SPD-Vorsitzende Kurt Beck am Sonntag in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin": "Wir haben ein klares Ausstiegsszenario, das ist mit der deutschen Wirtschaft so abgesprochen." Der energiepolitische Kurs sei für die SPD festgelegt. "Und ich glaube, es wäre ein verheerender Fehler, wenn wir auf eine Energieform setzen würden, die so unsicher ist, was die Abfallstoffe angeht."
Gabriel hält die Unions-Pläne für Verbrauchertäuschung. "Was ich schlimm finde, ist, dass die Union den Leuten vorgaukeln will, man könnte mit Atomkraft die Öl- und Gaspreise dämpfen", sagte er. "Ich kenne keinen, der sein Auto mit Brennstäben tankt, und Öl- oder Gasheizungen lassen sich auch nicht mit Atomstrom betreiben." Der Strompreis steige außerdem seit mehreren Jahren, obwohl etwa ein Viertel des Stroms aus Atomkraftwerken stamme. "Wer also wirklich etwas gegen steigende Energiepreise machen will, der muss auf Energiesparen setzen, der muss investieren in moderne Heizungen, in neue Dämmungen, und der muss sich mit dem massiven Ausbau erneuerbarer Energien unabhängiger machen von Gas und Öl."
Der Umweltminister rief die Energieversorgungsunternehmen erneut dazu auf, die schon heute bestehenden Möglichkeiten für längere Reaktorlaufzeiten zu nutzen: "Ich habe schon vor einem Jahr vorgeschlagen, die sieben ältesten Meiler abzuschalten und deren Laufzeit auf die neun jüngeren zu übertragen", sagte Gabriel der "Leipziger Volkszeitung" (Samstag). Das könnten die Betreiber ohne Genehmigung sofort tun, um die Laufzeiten der sichersten Reaktoren weit über 2020 hinaus zu verlängern "und damit viel Geld zu verdienen".
Das Umweltministerium dementierte einen "Spiegel"-Bericht, wonach über eine Verteuerung von Atomstrom nachgedacht werde, etwa mit einer "Brennelementesteuer" von einem Cent pro Kilowattstunde. Es gebe keine derartigen Forderungen im Ministerium, sagte ein Sprecher.
Nach dem in der rot-grünen Regierungszeit vereinbarten Atomausstieg soll der letzte deutsche Atommeiler bis zum Jahr 2022 vom Netz gehen. Gabriel sieht keine parlamentarische Mehrheit dafür, diese Pläne zu ändern: "Union und Atomwirtschaft müssen sich endlich damit abfinden, dass der auf mehr als 20 Jahre angelegte Atomausstieg entschieden ist", sagte Gabriel. "Eine schwarz-gelbe Mehrheit wird die Weisheit der Wähler verhindern. Und in allen anderen Konstellationen wird die Union ihre Pro-Atom-Politik nicht durchsetzen können, wenn sie mitregieren will."
Der grüne Europa-Abgeordnete Cem Özdemir bezeichnete den Atomausstieg als "rote Linie", die seine Partei nicht aufgeben werde. Der Kandidat für den Parteivorsitz der Grünen warf der Union im Deutschlandfunk "ein hohes Maß an Heuchelei" vor, weil es ihr nicht um das Klima gehe, sondern um "knallharte Wirtschaftsinteressen": "Die Atomkraftwerke, vor allem diejenigen mit einer langen Laufzeit, sind Gelddruckmaschinen. Darum geht’s im Kern und um nichts anderes."