Experten fordern Vorfahrt für erneuerbare Energien
Stand: 26.01.2011
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Berlin - Gut eine Woche, bevor der EU-Klimagipfel in Brüssel stattfindet, verlangt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ein Umsteuern in der Klimapolitik in Deutschland und Europa. Die klimapolitischen Ziele würden verfehlt werden, wenn man dem bisherigen Entwicklungspfad weiter folge. Dies sagt das Beratergremium der Bundesregierung im Sondergutachten "Wege zur 100-prozentigen erneuerbaren Stromversorgung", welches am Mittwoch an Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) übergeben wurde.
Der frühzeitige Ausbau der erneuerbaren Energien sei zwar kurzfristig mit höheren Investitions- und Erzeugungskosten verbunden als die Laufzeitverlängerung für abgeschriebene Kraftwerke, heißt es in der Studie. Er ermögliche aber "langfristig erhebliche Einsparungen selbst bei den direkten und erst recht bei den gesellschaftlichen Kosten".
Dafür müsse die Bundesregierung heute "verlässliche Anreize für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, der notwendigen Speicher und der Netze setzen", sagt Professor Martin Faulstich, Vorsitzender des Sachverständigenrats. Besonders wichtig sei es, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), anders als derzeit häufig gefordert, zu erhalten. "Das EEG ist ein Erfolgsmodell, das man nur ganz behutsam ändern darf", sagt auch Christian Hey, Geschäftsführer des SRU. Reformbedarf bestehe allerdings hinsichtlich der Kosten der Förderung, vor allem der Fotovoltaik. Die müsse deutlich reduziert und gedeckelt werden, sonst drohe eine "Überhitzung der Branche", forderte Hey.
Eine "schräge Diskussion" gebe es beim Ausbau der Stromnetze. Hier werde so getan, als ob die zahlreichen Bürgerproteste gegen die Überlandleitungen den Ausbau verhinderten. Das sei eine "Ablenkungsdebatte". "Man kann der Öffentlichkeit nicht nach dem Motto 'Friss oder stirb' etwas vorsetzen und sich dann wundern, dass die Bürger sich wehren", monierte Geschäftsführer Hey. Die eigentlichen Probleme seien eine zu späte Planung und mangelnde Anreize. Stromtrassen müssten unter Beteiligung der Öffentlichkeit frühzeitig geplant und von privaten Investoren gebaut werden.
Kritik an Energiepolitik der Bundesregierung
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) übte scharfe Kritik an der Energiepolitik der Bundesregierung. "Ich halte es für verheerend, dass man das Vertrauen der Bevölkerung in die Energiepolitik extrem dadurch belastet, dass man Klientelpolitik für die Kernenergie gemacht hat", sagte Olav Hohmeyer, der Mitglied im SRU ist, am Mittwoch in Berlin anlässlich der Vorstellung des Sondergutachtens. Das, was die Bundesregierung im Moment in der Energiepolitik tue, gehe "komplett in die falsche Richtung".
Hohmeyer verwies darauf, dass der SRU in seinem Gutachten eindeutig zu dem Schluss komme, dass Deutschland "keine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke" und auch keine neuen Kohlekraftwerke benötige. "100 Prozent regenerative Stromversorgung ist, wenn wir wollen, bis 2030, und wenn wir es langsam angehen lassen, bis 2050 realisierbar", unterstrich er. Dafür müssten jedoch jetzt die Weichen gestellt werden, insbesondere im Bereich des Netzausbaus und der Speicherung. Dazu werde das Vertrauen der Bevölkerung benötigt.
Verlorene Dekade im Klimaschutz droht
Ferner mahnt der Sachverständigenrat eine aktivere Energieaußenpolitik an. Die skandinavischen Pumpspeicherkraftwerke und vor allem Windenergie aus der Nordsee seien in Zukunft von großer Bedeutung für die deutsche Stromversorgung. Die Bundesregierung müsse ein "deutliches politisches Signal" nach Europa aussenden, dass sie verbindlich in die Planung eines europäischen Verbundes einsteige. Auch in der europäischen Klimapolitik müssten die Ziele höher gesteckt werden. Derzeit gilt die Selbstverpflichtung der EU-Mitgliedsstaaten, ihren CO2-Ausstoß bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Erforderlich seien aber 30 Prozent, sonst drohe eine "verlorene Dekade" im Klimaschutz, sagt Geschäftsführer Hey.