Gießen (dpa) - Solarstrom aus Nordafrika könnte nach einer Experteneinschätzung schon in wenigen Jahren nach Deutschland fließen. "Technisch ist das bereits heute kein Problem", sagte Prof. Michael Düren vom II. Physikalischen Institut der Universität Gießen in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Allerdings seien derzeit fossile Brennstoffe wie Erdöl, Kohle und Gas noch billiger als der Strom aus der Wüste. "Angesichts der Endlichkeit der fossilen Brennstoffe und der Tatsache, dass ihr Verbrauch Kohlendioxid freisetzt und somit das Klima massiv verändert, drängt die Zeit aber", sagte Düren.
Am Montag kommen in Gießen rund 50 Wissenschaftler verschiedener Fachgebiete zusammen, um über eine Solarenergie-Partnerschaft mit Afrika zu diskutieren.
"Die Energiemenge, die die Sonne an einem Tag innerhalb von sechs Stunden in die Wüstenregionen der Erde einstrahlt, entspricht dem
Weltenergiebedarf eines ganzen Jahres", sagte Düren, der die Tagung mitorganisiert. Mit solarthermischen Kraftwerken könne die Wüstensonne in Wärme und
Strom umgewandelt und nach Europa importiert werden - über Höchstspannungsgleichstromleitungen, die über mehrere tausend Kilometer hinweg weniger als 15 Prozent der
Energie verlören. Die Speicherung von Strom sei zwar ein Problem, in diesem Fall aber werde Wärme gespeichert. "Solange die Sonne scheint, gibt es aus physikalischer Sicht keine
Energiekrise", sagte Düren.
Bei solarthermischen Anlagen, wie es sie seit 20 Jahren in Kalifornien gebe und sie derzeit in Südspanien gebaut würden, gebe es keine Brennstoffkosten. "Es fallen nur Investitionskosten an", sagte der 51-Jährige. Ein Umstieg auf Kernenergie biete keine Lösung, weil weltweit etwa 13 500 neue Kernreaktoren gebaut werden müssten, um die fossilen Brennstoffe zu ersetzen. Nur regenerative Energie wie Sonne und Wind könnten daher den Durchbruch zu einer klimafreundlichen
Stromversorgung in Europa bringen.
Warum nicht schon längst mit dem Bau von vielen Solar-Kraftwerken in Nordafrika begonnen worden sei, sei auf gesellschaftliche und politische Probleme zurückzuführen. Genau die sollen in dem Gießener Workshop diskutiert werden. "Die Erinnerung an die Kolonialzeit ist in Afrika noch sehr präsent, so dass die Menschen dort nicht unbedingt gut auf Europa zu sprechen sind", sagte Düren. "Deshalb macht eine Energie-Partnerschaft nur Sinn, wenn die Kraftwerke in Nordafrika die Elektrifizierung vor Ort gewährleisten - und zusätzlich die Europas."