Brüssel/Straßburg - Verbraucher und Unternehmen sollen von neuen Regeln auf den Märkten für Strom und Gas profitieren. Nach monatelangem Tauziehen einigten sich Unterhändler der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft, des Europa-Parlaments und der EU-Kommission in der Nacht zum Dienstag auf ein Gesetzespaket für den europäischen Energie-Binnenmarkt. Für die Unternehmen wirkt sich dies bei der Übernahme anderer Firmen aus. Die Verbraucher sollen Nutzen aus mehr Wettbewerb ziehen und bekommen bis zum Jahr 2020 neuartige Stromzähler.
Die Zähler sollen den Kunden künftig den aktuellen Verbrauch anzeigen. Die Abnehmer bekämen jeden Monat eine Abrechnung gemäß ihrem Verbrauch; günstigere Nachttarife wären leichter erkennbar. Auch ein Rückfluss von Energie wäre nach Angaben der EU-Kommission auf diese Weise abzurechnen, wenn ein Hauseigentümer beispielsweise mit Solarzellen auf dem Dach eigenen Strom ins Netz einspeist.
Für Verbraucher in der EU soll der Wechsel von einem
Energieanbieter zum anderen leichter werden. Künftig soll ein Wechsel des Gas- oder Stromversorgers gebührenfrei innerhalb von drei Wochen möglich sein. Außerdem sollen die Kunden bei ungenauen Abrechnungen ein Recht auf Entschädigung bekommen. Ein Sprecher vom
Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) nannte die neue Wechsel-Frist in Berlin eine "Verbesserung, wenn die Anbieter das in der Praxis umsetzen". Nach deutschem Recht soll ein Anbieterwechsel demnach am Ende des auf die
Kündigung folgenden Monats abgeschlossen sein, also durchschnittlich in sechs Wochen. Es komme aber immer noch vor, dass Kunden mehrere Monate lang damit zu tun hätten, sagte der Sprecher.
Laut dem Kompromiss sollen die EU-Mitgliedstaaten zudem Anlaufstellen schaffen, etwa in Form von Ombudsmännern. Diese sollten Verbraucher bei Konflikten mit ihren Energieanbietern beraten, etwa um gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Das Gesetzespaket überlässt es den 27 EU-Staaten, ob sie Strom- und Gasanbietern den gleichzeitigen Besitz des Leitungsnetzes erlauben. Das soll unter bestimmten Bedingungen möglich sein. Unter anderem muss dann ein
Netzbetreiber unabhängig von der Muttergesellschaft operieren. Vor allem Deutschland hatte sich gegen eine Zerschlagung der Konzerne gewandt. Die Kommission strebte hingegen eine völlige eigentumsrechtliche Trennung an.
"Die Alternative zur Trennung von Netz und Erzeugung ist ein Erfolg für Deutschland", sagte die Vorsitzende des Industrie- Ausschusses im Europa-Parlament, Angelika Niebler (CSU). Das entscheidende Ziel sei mehr Wettbewerb. "Dahin sind nun verschiedene Wege möglich". Auf konservativer Seite überwiegt im Europa-Parlament die Meinung, dass die Trennung von Erzeugern und Netzen nicht automatisch zu sinkenden Energiepreisen führt.
Unternehmen, die Leitungsnetze besitzen und Energie verkaufen, dürfen den neuen Regeln zufolge in Ländern mit getrennten Systemen keine Netze kaufen. Für Unternehmen aus Drittstaaten bestehen nach Diplomatenangaben die gleichen Vorgaben. Ein Konzern wie das russische Unternehmen Gazprom, der über die Wingas in Kassel bereits Erdgas in Europa verkauft und Leitungen betreibt, dürfte seine Geschäfte in Deutschland deshalb ausbauen, in den Niederlanden mit der dortigen Trennung von Netzbetrieb und Verkauf aber nicht.