Cuxhaven - Vom Strand des ostenglischen Badeortes Great Yarmouth aus kann man die Zukunft der Energiegewinnung aus nächster Nähe betrachten. Seit fünf Jahren schieben sich 60 Meter hohe Windräder ins Blickfeld der Urlauber. Die 30 Riesen ragen gerade einmal 2,5 Kilometer vor der Küste des Ferienortes aus dem Meer. Sie haben die Kapazität, den Jahresbedarf von rund 41.000 Haushalten zu decken. Nicht unumstritten sei das Projekt des Energiekonzerns E.ON gewesen, erinnern sich die Einwohner. Mittlerweile hätten sie sich daran gewöhnt, für viele sei es eine Attraktion geworden, sagte ein Mitarbeiter der Seenothelfer. "Und das wichtigste: Es ist saubere Energie."
Vor allem die großen Energiekonzerne sehen die Zukunft der Windenergie in Nordeuropa auf dem Meer. "Wir müssen Projekte im industriellen Maßstab realisieren", sagt E.ON-Chef Wulf Bernotat. "Nur das wird den endgültigen Durchbruch möglich machen."
Und den Platz dafür gibt es in Großbritannien, Deutschland oder den Benelux-Staaten anders als etwa in den USA, China oder Spanien nur auf dem Wasser. "Ohne Offshore werden wir die ehrgeizigen Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien nicht erreichen", sagt der Chef der Ökosparte von RWE, Fritz Vahrenholt. Sein Unternehmen betreibt wie E.ON mehrere Windparks auf dem britischen Meer. Großbritannien gilt neben Dänemark als Vorreiter für die Windkraft auf See. Demnächst will unter anderem E.ON in der Themsemündung ein Großkraftwerk errichten - es soll für 750.000 Haushalte Strom aus Wind produzieren.
Auch die Bundesregierung hat ehrgeizige Pläne. Bis 2020 sollen auf Nord- und Ostsee Windparks mit einer Kapazität von 10 Gigawatt installiert sein. Das würde der Leistung von zehn Atomkraftwerken entsprechen. 21 Windparks auf dem Meer hat das zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) bislang genehmigt, für weitere 50 Vorhaben liegen Anträge vor. Doch derzeit dreht sich noch kein Rad: Denn hierzulande sollen die Anlagen nur dort gebaut werden, wo sie niemand sehen kann - 40 oder 50 Kilometer vor der Küste.
Der Chef der Erneuerbare-Energien-Sparte von E.ON, Frank Mastiaux, spricht von einer Pionierarbeit. "Schon der Bau von küstennahen Anlagen ist ein Marathonlauf, die Konstruktion von küstenfernen Anlagen ist ein Langstrecken-Triathlon." Im vergangenen Jahr musste E.ON mit den Partnern Vattenfall und EWE Lehrgeld zahlen: Die drei Versorger taten sich zusammen, um das Pilotfeld "Alpha Ventus" 40 Kilometer vor der Insel Borkum zu bauen. Eigentlich sollten die zwölf Anlagen seit Herbst Strom liefern. Doch jedes Mal, wenn die Spezialschiffe ausliefen, vereitelten hoher Wellengang und schlechtes Wetter den Baubeginn.
Inzwischen geht es voran, im Oktober sollen die Maschinen Strom liefern. 250 Millionen Euro beträgt der Bauetat für die 60 Megawatt. Nach einem Jahr Betrieb will E.ON Bilanz ziehen und prüfen, ob sich Windenergie weit draußen auf dem Meer lohnt. Dann könnte es ganz schnell gehen mit dem Bau größerer Anlagen.
Andere sind skeptischer. Der größte deutsche Windanlagenhersteller Enercon aus Aurich glaubt, die Zeit für Offshore-Anlagen sei noch nicht gekommen. "Eine Anlage auf See ist schwer zu bauen und genauso schwer zu unterhalten und warten", heißt es in einem Argumentationspapier des Unternehmens. Problematisch sind die salzige Luft, die die Maschinen angreift, das Wetter, das nur an wenigen Tagen im Jahr Arbeiten zulässt, die schwierige Netzanbindung und die mangelnde Erfahrung im Bau der Anlagen.
Dagegen sehen Weltmarktführer Vestas aus Dänemark, Siemens und die Hamburger REpower Systems dies bereits als wichtiges Geschäftsfeld. REpower schloss einen milliardenschweren Vertrag mit RWE ab und soll etwa die Turbinen für das RWE-Megaprojekt "Innogy I" vor Juist herstellen. 150 bis 180 Mühlen sollen sich dort drehen und 780.000 Haushalte versorgen. Die Genehmigung erwartet RWE noch in diesem Jahr.
Anders als an Land haben auf dem Meer kleine und mittelständische Unternehmen praktisch keine Chance, sich zu beteiligen. "Offshore ist extrem kapitalintensiv und damit für den Mittelstand praktisch nicht zu finanzieren - gerade nicht vor dem Hintergrund der Finanzkrise", sagt der Sprecher des Bundesverbandes Windenergie, Ulf Gerder.