Die Grünen in der Atom-Zwickmühle
Stand: 24.06.2011
Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: dapd
Berlin - Die Atom-Ausstiegspläne der Regierung haben die Grünen in einen schweren Konflikt gestürzt. Wenn die Delegierten auf dem Sonderparteitag den schwarz-gelben Plänen zustimmen, gehen der Partei die Atomkraftgegner von der Fahne. Sprechen sich die Grünen am Samstag jedoch dagegen aus, überlassen sie einen "wichtigen Sieg" in dem 30-jährigen Kampf gegen die Kernkraft den anderen Parteien. Die Grünen selbst stünden dann als ewige "Dagegen-Partei" da.
Deshalb legt die Grünen-Spitze den 800 Delegierten einen Antrag mit viel Kritik am Energiekurs der Bundesregierung vor. Doch die zentrale Aussage ist, dass die Grünen grundsätzlich bereit sind, die Novelle des Atomgesetzes im Bundestag mitzutragen.
Denn schließlich wolle die schwarz-gelbe Koalition acht "Schrottreaktoren" stilllegen und die Laufzeitverlängerung bis 2040 wieder zurücknehmen. Auch sei der Konsens möglichst aller Parteien im Bundestag für den Atomausstieg ein Wert an sich: "Damit wird ein erneutes Aufbrechen der Vereinbarung politisch nahezu unmöglich", heißt es in dem Papier.
Doch die Jugendorganisation der Grünen hält die Novelle des Atomgesetzes in "ihrer derzeitigen Form für inakzeptabel und nicht zustimmungsfähig". Die Grüne Jugend fordert die Abgeordneten auf, am 30. Juni nur dann mit Ja zu stimmen, wenn sich die Bundesregierung in "wesentlichen Punkten weit auf uns zu" bewegt. Diese Punkte sind der Atomausstieg bis 2017 statt bis 2022, schärfere Sicherheitsauflagen für Reaktoren und ein unverzügliches Ende des "Schwarzbaus Gorleben als Endlager".
"Ja" mit oder ohne Bedingungen
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, sagte der "Welt", er werde der schwarz-gelben Novelle so, wie sie vorliegt, zustimmen. Schließlich habe die Regierung Merkel von drei Gesetzentwürfen der Grünen zweieinhalb übernommen. "Da wäre es absurd, beleidigt danebenzustehen und abzulehnen."
Auch habe Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ein großes Interesse daran, dass sich die Grünen verweigerten, weil sie sich dann den Atomausstieg auf ihre Fahnen schreiben könne, sagte Trittin. Es sei Merkels strategisches Ziel, den Grünen das Thema Atomausstieg zu entwinden. "Deshalb ist ein konditioniertes Ja keine kluge Position", meinte der Fraktionschef.
Doch gerade für dieses Ja mit Bedingungen wirbt der Antrag von Martina Lammers aus Lüchow-Dannenberg, den auch Parteilinke wie der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele unterstützen. Eine Voraussetzung für die Zustimmung ist danach "die rechtssichere und unumkehrbare Festschreibung des Atomausstiegs". Sollte aber der Salzstock Gorleben per Enteignungsklausel zum Atommüll-Endlager ausgebaut werden, legten sich die Grünen bei dem Konsens quer.
Offene Briefe von Atomkraftgegnern und Grünen-Vorstand
Karl-Wilhelm Koch, Herausgeber des Buchs "Störfall Atomkraft", lehnt jegliche Kompromisse mit Schwarz-Gelb ab. Die Fraktion müsse alle Energiegesetze der Regierung Merkel zurückweisen, fordert er. Koch will schnellstmöglich, spätestens aber bis 2017, alle Kernkraftwerke abschalten. Merkels Konsens-Angebot sei ein "verhängnisvolles 'Danaergeschenk', ein Geschenk, das sich als unheilvoll und schadensstiftend erweist". Die Kanzlerin wolle den Konsens nur aus wahltaktischen Überlegungen.
Koch vertritt damit die Linie der Atomkraftgegner wie "Ausgestrahlt" und der Umweltschützer wie BUND und Robin Wood. Sie fordern, die Grünen dürften nicht über das Stöckchen springen, das Merkel ihnen hinhält. Es sei erst in den vergangenen Jahren auf der Straße gelungen, den Graben zu überbrücken, den die Grünen mit ihrem Ja "zum völlig unzureichenden Ausstiegsbeschluss" aus dem Jahr 2000 aufgerissen hätten. "Beginnen Sie jetzt nicht, diese Brücken wieder einzureißen", heißt es in einem offenen Brief an die Delegierten.
Abstimmung am Wochenende
Die Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir antworteten prompt. Sie wiesen darauf hin, dass auch die Parteiführung sechs von sieben schwarz-gelben Gesetzen nicht zustimmen wolle. Für ein Ja zum Atomausstieg gebe es aber gute Gründe, wie Investitionssicherheit für erneuerbare Energien und Gaskraftwerke. Auch mache die Zustimmung von vier Fraktionen im Bundestag den Ausstieg praktisch unumkehrbar.
Für den Bundesvorstand der Grünen sind die Gesetzentwürfe der Regierung Merkel zur Energiewende "ungenügend", zum Atomausstieg aber immerhin "befriedigend" - sprich: zustimmungsfähig. Ob der Parteitag diese Einschätzung teilt, wird sich am Wochenende zeigen.
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