Deutsches Stromnetz am Limit: Wehe, wenn der Winter kommt
Stand: 14.06.2011
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Weimar/Bonn - Das deutsche Stromnetz arbeitet nach Auskunft des Präsidenten der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, derzeit oft am Limit. "Das geht nur, weil die Netzbetreiber immer stärker in die Erzeugung eingreifen. Kraftwerke müssen viel häufiger als in der Vergangenheit hoch- und heruntergefahren werden", erklärte Kurth in Weimar gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Die Situation sei wegen der starken Schwankungen von Angebot und Nachfrage bei Strom so angespannt, dass zum Teil geplante Reparaturen verschoben worden seien. Der Ausbau des Netzes sei dringend geboten. Regionen, die davon betroffen sind, sollen Zahlungen erhalten. "Das halte ich für vertretbar", sagte Kurth.
Gerade zu Pfingsten muss das Netz alljährlich einen besonderen Stresstest bestehen, weil bei wenig Verbrauch meist viel Sonnen- und Windenergie produziert wird, die in das Netz hineinpresst. Allgemein verschärfend kommt die Stilllegung von acht Atomkraftwerken hinzu, die zum Wegfall einer planbaren Stromproduktion führt, während in den nächsten Jahren die stark schwankende Produktion von Sonnen- und Windenergie weiter steigen wird.
"Wir haben derzeit eine Art Mangelverwaltung im Netz. Eingriffe in die Erzeugung und in Kraftwerksrevisionen sind eigentlich Maßnahmen für den Notfall", sagte der Präsident der Bundesnetzagentur. Die Bundesnetzagentur soll nach den Beschlüssen der Bundesregierung bis September entscheiden, ob man eines der alten AKW nicht sofort stilllegt, sondern bis 2013 für mögliche Stromengpässe als kalte Reserve in Bereitschaft hält.
Problematisch sei der Winter, "wenn die Sonne nicht scheint, der Wind nicht bläst, aber Höchstlast gefragt ist, nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Nachbarländern", sagte Kurth. An Spitzenlasttagen im Winter könne die Stromnachfrage bei über 80 Gigawatt liegen. Zu Pfingsten seien es dagegen nur etwa 35 Gigawatt bei gleichzeitig hohem Angebot an Ökostrom.
Nach Angaben von Kurth wird derzeit an weiteren Berechnungen gearbeitet, um mit Blick auf den Winter mehr Klarheit über Risiken bei der Netzstabilität und der Versorgungssicherheit zu bekommen. "Wir müssen immer den schlimmsten Fall annehmen: Über 80 Gigawatt Nachfrage, die erneuerbaren Energien speisen kaum ein und eine der zentralen Nord-Süd-Leitungen oder ein wichtiges Kraftwerk im Süden sind ausgefallen" erläuterte der Chef der Bundesnetzagentur. Unter diesen Bedingungen Netzstabilität und Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sei eine "Herausforderung gerade im Süden Deutschlands". Dort gebe es voraussichtlich zu wenig konventionelle Kraftwerksreserven.
Die für den Transport von Windstrom in Süden wichtige Starkstromtrasse durch Thüringen müsse möglichst bald abgeschlossen werden, mahnte Kurth. In der Diskussion um den Netzausbau, bei dem es um zusätzlich einige tausend Kilometer geht, "gilt die 380-KV-Leitung durch Thüringen schon als gebaut". Eine künftige Aufgabe seiner Behörde sei es, einen bundesweiten Netzplan zu erstellen. Wer Benachteiligungen durch die notwendigen neuen Trassen habe, sollte einen gewissen finanziellen Ausgleich erhalten. Kurth: "Wichtiger ist aber, dass die Menschen verstehen, dass die Leitungen für die Energiewende dringend gebraucht werden."