CO2-Handel: Erbitterter Streit im EU-Parlament
Stand: 15.04.2013
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Brüssel - Im EU-Parlament wird erbittert über die zukünftige Ausrichtung des CO2-Handels gestritten. Die Kommission will mit einem Reformschritt namens Backloading aushelfen, das Vorhaben droht jedoch zu scheitern.
Brüssel hat ein neues Mode-Accessoire. "I Love Climate" steht auf den Stickern und Türschildern, die Öko-Aktivisten als Massenware im EU-Parlament verteilt haben. Unter dieser Liebeserklärung an das Klima steht die Aufforderung: "Stimmen Sie für Backloading!" Manche EU-Parlamentarier schlendern mit den Stickern am Revers demonstrativ gut gelaunt umher, während sich andere Abgeordnete über die ungebetene Post beschweren.
Hinter dem kryptischen Wort Backloading (deutsch: nach hinten verschieben) verbirgt sich ein Reformvorhaben der EU-Kommission, bei dem es buchstäblich um jede Menge heiße Luft geht. Der kriselnde Emissionshandel, bei dem die Industrie CO2-Verschmutzungsrechte erwerben muss, soll mit einem staatlichen Eingriff in den Markt aufgepäppelt und der Klimaschutz-Effekt erhöht werden. Am kommenden Dienstag stimmt das Europaparlament über das Vorhaben ab - die Wahl ist so offen und unvorhersehbar wie selten auf EU-Parkett.
Deutschlands Vorreiter-Ruf steht auf dem Spiel
Der Reformschritt sorgt nicht nur in Brüssel für hitzige Diskussionen - er entzweit auch die Bundesregierung. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) ist im Sinne des Klimaschutzes dafür, Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) aus Sorge um Ballast für die Industrie dagegen. Weil sich die beiden nicht einigen können, tritt Deutschland bei Brüsseler Beratungen ohne Meinung auf. Aus Sicht von Klimaschützern verspielt Deutschland seinen Vorreiter-Ruf.
Bei dem Reformvorhaben der EU-Kommission soll der aktuell sehr niedrige Preis für CO2-Verschmutzungsrechte erhöht werden - durch den Preisverfall boomt in Deutschland klimaschädlicher Kohlestrom. Nun soll das Angebot an CO2-Rechten verknappt werden. In den nächsten drei Jahren sollen weniger Zertifikate auf den Markt kommen als geplant - erst am Ende des Jahrzehnts würden sie freigegeben.
Der deutsche EU-Parlamentarier Matthias Groote (SPD) unterstützt das Vorhaben. Groote schrieb einen Pro-Backloading-Bericht, der im Umweltausschuss des EU-Parlaments eine satte Mehrheit bekam. Im Industrieausschuss gab es eine weitere Backloading-Abstimmung mit einer noch satteren Mehrheit - hier aber gegen das Reformvorhaben.
Da das Umweltgremium federführend war, hätte Groote direkt mit den EU-Staaten verhandeln können. Doch das Risiko war ihm wohl zu hoch, mit dem Rat einen Kompromiss zu erzielen und damit anschließend im Parlament durchzufallen. Obwohl dieser Weg auf EU-Parkett Usus ist. Das Plenum stimmt meistens erst nach einem Kompromiss von Unterhändlern des Parlaments und Rats ab. Das Votum im Plenum wird dann zumeist zur absehbaren Formalie.
Beim Backloading ist es anders - der Urnengang am Dienstag wird zum Krimi. Die Stimmungslage sei unübersichtlich, das Pendel könne nach rechts oder links ausschlagen, meint Backloading-Befürworter Bas Eickhout (Grüne). "Ich würde nicht drauf wetten, wie es ausgeht." Parlamentskollege und Reformgegner Holger Krahmer (FDP) schätzt: "Es wird ein knappes Ergebnis sein, in die eine oder andere Richtung."
Entscheidend dürfte das Verhalten der größten Fraktion im EU-Parlament sein, der christdemokratischen EVP. Eine Probeabstimmung unter EVP-Abgeordneten ergab hier kürzlich fast 90 Prozent Ablehnung des Reformschritts. Allerdings war nur ein gutes Drittel der rund 300 EVP-Parlamentarier dabei. Manch Christdemokrat wie Karl-Heinz Florenz (CDU) räumt ein, noch keine klare Meinung zu haben. "Ich bin da ganz schön am Rumeiern."
"Ambitionierter Klimaschutz ja oder nein?"
Um solche unentschiedenen Stimmen werben Befürworter und Reformgegner mit Vehemenz und Pathos. "Beim Backloading geht es nicht bloß um Zahlen, sondern es geht um die Frage, ambitionierter Klimaschutz ja oder nein?", sagt Interessenvertreter Miles Austin von der "Climate Markets & Investment Association". Vertreter von BDI oder BASF warnen in Brüssel hingegen vor den Folgen von Backloading.
Sogar Kirchenvertreter melden sich zu Wort. EU-Parlamentarier Krahmer wunderte sich über Post von der Evangelische Kirche Deutschlands und vom Kommissariat der deutschen Bischöfe. Der Liberale hält das Backloading für staatliche Willkür mit planwirtschaftlichen Ansätzen. In dem Brief jedoch wurde er "herzlich und dringend" gebeten, für die Reform zu stimmen. Krahmer schüttelt den Kopf. Dass sich die Kirche in die Debatte einmische, passe "zum religiösen Eifer der Klimaschutzdebatte", sagt er missmutig.
Der Grüne Eickhout wird angesichts der monatelangen Debatten etwas ungeduldig. "Genug diskutiert - lasst uns endlich abstimmen."