Berlin (dpa) - Mit einem Aufruf gegen den Atomausstieg hat sich der frühere SPD-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement am Donnerstag klar gegen die offizielle Parteilinie gestellt. Die SPD will dagegen unbeirrt am beschlossenen Ausstieg im Rahmen der Klima- und Energiepolitik festhalten, wie Bundesumweltminister Sigmar Gabriel klarstellte. Auch besteht die SPD auf einer alternativen Suche nach einem Endlager für starkstrahlenden nuklearen Müll, während Clement eine klare Entscheidung für den Standort Gorleben einforderte.
Damit provozierte der frühere SPD-Spitzenpolitiker seine Partei erneut, nachdem er kürzlich vor der Landtagswahl in Hessen wegen der Antiatom- und -kohlepolitik davor gewarnt hatte, die SPD zu wählen. Seitdem droht Clement, der erneut erklärte, er wolle die SPD nicht verlassen, ein Parteiausschlussverfahren.
Clement sagte auf der Wintertagung des Deutschen Atomforums in Berlin, er selbst habe 1986 schweren Herzens der auf dem Nürnberger Parteitag vorgegebenen "Neuorientierung der Energiepolitik ohne Atomkraft" zugestimmt. Bei wachsendem nationalen und weltweiten Energiehunger zeige sich nun aber, dass eine sichere Energiepolitik ohne Kohle- und Atomenergie nicht möglich sei. Sich eine solche "offenkundige Fehleinschätzung einzugestehen und den Mut zu haben, sie zu korrigieren, steht der Politik wie jedem Einzelnen gut zu Gesicht", fügte Clement hinzu. "Fatal wäre, wenn die Politik dazu nicht in der Lage wäre." Sonst drohten weitere Subventionen für Öko- Energien und Strom-Verteuerungen. Unterstützt wurde Clement vom CDU- Wirtschaftsrat wie auch von der Atomlobby. Für die
Endlagerung von Atommüll in Gorleben gebe es keinerlei ernstzunehmende Gegenargumente.
Gabriel reagierte verärgert: "Ich habe in den letzten 20 Jahren nie auf einem SPD-Bundesparteitag von Wolfgang Clement gehört, dass er die Position der Sozialdemokraten zum
Atomausstieg und zu Gorleben infrage gestellt hätte." Als Ministerpräsident von Nordrhein- Westfalen und als Bundeswirtschaftsminister habe er den Ausstieg aus der Kernenergie mitgetragen. Wenn Clement nun jede Gelegenheit nutze, um als Kronzeuge gegen die SPD aufzutreten, frage man sich, wie ernst gemeint frühere und heutige Positionen eigentlich seien. "Und: Mit welchem Meinungswandel wird er uns morgen überraschen?"
Der SPD-Energieexperte Hermann Scheer forderte Clement zum Streitgespräch auf - "um zu sehen, was von seinen Argumenten übrig bleibt", sagte Scheer der Deutschen Presse-Agentur dpa. Scheer war bei der Landtagswahl in Hessen für die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti der designierte Wirtschaftsminister.
Clement war vor der Hessen-Wahl innerparteilich unter Beschuss geraten, weil er den Energiekurs von Ypsilanti scharf kritisiert und indirekt dazu aufgerufen hatte, sie nicht zu wählen. Clement ist unter anderem Aufsichtsratsmitglied bei der
RWE Power AG. Gegen den Bochumer liegen örtliche Anträge für ein Parteiausschluss-Verfahren vor. Ein solches Begehren sei nicht leicht durchzuboxen, betonte Clement. Schließlich sei er seit 2005 nicht mehr in Regierungs- und Parteiämtern. "Als Privatmann muss ich meine Meinung wie jeder andere auch sagen können." Parteichef Kurt Beck hatte bei den Parteiausschluss-Forderungen zur Mäßigung aufgerufen.
Nach Darstellung von Clement ist bis 2030 mit einem weltweiten Anstieg des Energieverbrauchs um 60 Prozent zu rechnen. "Selbst in Europa dürfte der
Energieverbrauch zunehmen, mit der Konsequenz unserer weiter steigenden Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten. Im Jahr 2030 wird die EU vermutlich 90 Prozent ihres Erdölverbrauchs und 80 Prozent ihres Erdgasverbrauchs durch Einfuhren decken müssen."
Wie Clement sieht auch der Präsident des Deutschen Atomforums, Walter Hohlefelder, eine weltweite und EU-weite Umkehr hin zu einem verstärkten Ausbau der Kernenergie. Unterstützung komme dabei auch vom Weltklimarat, aus der EU-Kommission und dem Europaparlament. Ein Ausstieg aus der Kernenergie gefährde dagegen die europäische Strom-
Versorgungssicherheit. "Ohne Laufzeitverlängerung werden wir das Klimaschutzziel von 40 Prozent weit verfehlen", sagte Hohlefelder.