Claassen krempelt die EnBW um - Gemischte Bilanz nach 100 Tagen
Stand: 07.08.2003
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Karlsruhe (dpa/lsw) - Utz Claassen liebt "Zeitachsen". Gar zu gerne verpasst der neue Chef des Energie-Konzerns EnBW seinen Projekten konkrete Daten und setzt sich selbst unter den Druck, den einer wie er wohl braucht. So auch mit der magischen 100, an der normalerweise nur Politiker gemessen werden. Seit 100 Tagen führt der 40-Jährige den drittgrössten deutschen Energieversorger. Der Eifer, mit dem der Jungmanager den Karlsruher Konzern umkrempelt, hat viele überrascht.
Dass solche "Zeitachsen" aber auch schnell zum Bumerang werden, muss Claassen jetzt beim schleppenden Verkauf der Salamander AG (Kornwestheim) erfahren. "Ich wäre sehr enttäuscht, wenn wir nicht in den ersten 100 Tagen meiner Amtszeit ein schlüssiges Konzept für den Umgang mit Salamander vorlegen könnten", hatte Claassen noch im Mai verkündet. "Das ganze Drama bei Salamander" sei aber "viel grösser als bisher gedacht", musste Claassens Pressesprecher Hermann Schierwater jetzt eingestehen.
Claassens Ankündigung, den Konzern auf seine Kernkompetenz Energie zu fixieren und 143 der knapp 400 Beteiligungsgesellschaften zu verkaufen oder zu verschmelzen, betrifft vor allem die rund 100 Salamander-Töchter. Bisher ist lediglich der Grossteil der Schuh- Sparte verkauft.
Salamander-Chef Volker Grub (65) hält grosse Stücke auf den wesentlich jüngeren Claassen: Er sei ein "Glücksfall" für die EnBW. "Er hat sich seit seinem Amtsantritt hohe Autorität im Konzern erworben. Er wird gefürchtet, aber auch geschätzt", sagt Grub. Claassens Entscheidung, bei EnBW sofort hart durchzugreifen, sei richtig gewesen.
"Er dürfte keine andere Wahl haben", kommentiert auch Wolfgang Kiener, Analyst der Bayerischen Landesbank, das entschlossene Vorgehen Claassens in den ersten 100 Tagen. Schliesslich solle das Karlsruher Unternehmen irgendwann einmal "börsenfähig" sein. Claassen hatte nach seiner Amtsübernahme angekündigt, möglichst rasch alle "Hausaufgaben" zu erledigen, um mittelfristig doch ein grösseres Aktienpaket an der Börse platzieren zu können.
Claassen macht Nägel mit Köpfen. Inzwischen ist er selbst Finanzvorstand, hat bei Thermoselect eine neue Geschäftsführung eingesetzt und Yello in die Hände seines engen Vertrauten und Vertriebs-Vorstands Detlef Schmidt gelegt. Zudem verpflichtete er kürzlich den Unternehmenssanierer Kajo Neukirchen.
Zwar wehrte sich Claassen anfangs heftig, als es hiess, sein Vorgänger Gerhard Goll habe ihm eine "Baustelle" hinterlassen. Inzwischen spricht er aber selbst von "Altlasten" und "Sanierung". Wohl auch zum Selbstschutz rechnet er mit einem Verlust in seinem ersten Geschäftsjahr. Analysten gehen von bis zu 500 Millionen Euro aus. Und Claassen werde versuchen, möglichst viele Belastungen in die laufende Bilanz einzubringen. Er weiss: Alles Negative, was er jetzt ans Tageslicht bringt, wird nicht ihm, sondern noch seinem Vorgänger zugeschrieben.
Laut Branchenkennern macht die EnBW jetzt unter Claassen genau das mit, was die Grossen (RWE und E.ON) schon hinter sich haben. Der eher politische Vorstandschef Goll hatte eine andere Sicht auf das Unternehmen als der Vollblut-Manager und Sanierer Claassen, der vor allem das Konzernergebnis im Blick hat. Und dafür müssen die Kosten runter. Allein im Personalbereich sollen bis 2006 rund 350 Millionen Euro gespart werden. Wie viele Arbeitsplätze das kostet, sei noch nicht absehbar, sagt Schierwater. Geplant seien auch Regelungen zum Frühruhestand, zur Kürzung oder Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes und zum Auslaufen befristeter Verträge. Ohne betriebsbedingte Kündigungen wird es wohl trotzdem nicht gehen.