Bundestagspräsident prüft Rechtmäßigkeit der Atom-Entscheidung
Stand: 16.03.2011
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Berlin - Die geplante vorübergehende Abschaltung deutscher Atomkraftwerke ist von rechtlicher Seite noch nicht in trockenen Tüchern. Die Bundestagsverwaltung prüft derzeit, ob die Bundesregierung dazu nicht einen Parlamentsbeschluss benötigt. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärte der "Berliner Zeitung" (Mittwoch): "Ich lasse prüfen, ob es dazu weiterer korrigierender gesetzlicher Regelungen bedarf."
Lammert hatte nach dpa-Informationen bereits in der Sitzung der Unionsfraktion am Dienstag rechtliche Bedenken geäußert, ebenso der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (beide CDU). Die Fraktion billigte den Entschließungsantrag zu den Regierungsplänen aber einstimmig. Die Opposition argumentiert, dass das von Schwarz-Gelb durchgedrückte Gesetz über die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke gilt und eine Aussetzung ebenfalls eines Gesetzes bedürfe.
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) will heute (Mittwoch/ca. 11.00) im Umweltausschuss des Bundestags das weitere Vorgehen erläutern. Die Regierung beruft sich bei ihrem dreimonatigen Moratorium mit der Abschaltung von acht - teilweise bereits stillstehenden - Reaktoren auf Paragraf 19 des Atomgesetzes. Dort ist geregelt, dass AKW in Notsituationen stillgelegt werden können. Da nach Meinung von Experten aber keine Gefahr droht, könnten die Energiekonzerne Schadenersatz für ihre Einnahmeausfälle verlangen. SPD-Chef Sigmar Gabriel vermutet deshalb "einen zweiten Deal (der Regierung) mit der Atomwirtschaft".
Zugleich wirbt die Union um die Unterstützung der Opposition für eine Neuausrichtung der Energiepolitik. "Wir sollten jetzt eine Basis definieren, wie wir in den nächsten Wochen gemeinsam einen Konsens herstellen können", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Peter Altmaier (CDU), am Abend im Sender N-TV. Mit Blick auf die künftige Nutzung der Atomenergie appellierte er: "Lasst uns über die Zeiträume reden."
Die Vizefraktionsvorsitzende der Grünen, Bärbel Höhn, zeigte sich in der Sendung trotz aller Kritik an der Regierung prinzipiell gesprächsbereit. Aber: Es sei "gemeinsam mit der Regierung zu klären, ob wir nicht noch schneller aus der Atomtechnologie raus müssen", als einst von Rot-Grün festgelegt. Zugleich räumte sie ein, dass eine sofortige Abschaltung aller 17 Atomkraftwerke nicht möglich ist.
Die geplante Abschaltung der sieben älteren Meiler und des AKW Krümmel bis Mitte Juni kostet die Konzerne nach Berechnung eines Energieexperten Umsatzeinbußen von mehr als einer halben Milliarde Euro. Dies errechnete der Bremer Wirtschaftsprofessor Wolfgang Pfaffenberger für "Spiegel Online".
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe wies derweil den Vorwurf der Opposition zurück, die Regierung täusche wegen der anstehenden Landtagswahlen einen Kurswechsel nur vor und wolle nach Ende des Moratoriums Mitte Juni zur alten Atompolitik zurückkehren. "Während die Menschen in Japan mit den Folgen der Katastrophe ringen, kochen SPD und Grüne in geschmackloser Weise ihr innenpolitisches Süppchen", kritisierte er in einem Interview der "WAZ"-Zeitungen (Mittwoch).
Nach der abrupten Wende melden sich in der Union aber auch Stimmen, die vor einem zu schnellen Verzicht auf den billigen Atomstrom warnen. Der Vizefraktionschef Michael Fuchs (CDU) sagte dem "Hamburger Abendblatt" (Mittwoch): "Da wir ein Industrieland sind, müssen (...) die Prinzipien einer bezahlbaren, zuverlässigen und sauberen Stromversorgung für Unternehmen und Verbraucher weiter gelten." Der CSU-Wirtschaftspolitiker und Ex-Parteichef Erwin Huber sagte der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwoch): "In Deutschland müssen wir die Kernkraft in den kommenden Jahrzehnten nutzen, bei höchsten Sicherheitsstandards."
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) verlangte eine besonnene und faktenorientierte Diskussion. BDI-Präsident Hans-Peter Keitel sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" aber auch: "Wenn an deren Ende steht, dass Deutschland früher ohne Kernenergie auskommen muss, dann ist das so."
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir prophezeite das Ende der Atomkraftnutzung auch über Deutschland hinaus. Sie habe in Demokratien mit kritischer Öffentlichkeit keine Zukunft mehr, nur noch in Diktaturen und halbdemokratischen Staaten, sagte er am Dienstagabend im ARD-"Brennpunkt".