Biblis-Stilllegung rechtswidrig: Hessen droht Schadenersatz
Stand: 28.02.2013
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Kassel - Auf das Land Hessen kommen womöglich hohe Schadenersatzforderungen wegen der Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis zu. Der Energieriese RWE hatte gegen das Atom-Moratorium des Jahres 2011geklagt und nun gewonnen.
Das habe sowohl formelle als auch materielle Gründe, sagte Richterin Ruth Fischer in der knappen Urteilsbegründung. Das Unternehmen sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. Zudem habe der Senat nicht feststellen können, dass das Land Hessen eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung gefällt habe.
Umweltministerium verteidigt Abschaltung
Das zuständige Umweltministerium verteidigte unterdessen den Schritt: Die Atomaufsichtsbehörde sei nach wie vor der Überzeugung, rechtmäßig gehandelt zu haben, teilte die Behörde mit. Zudem sei in drei weiteren Bundesländern die vorübergehende Stilllegung von Kernkraftwerken angeordnet worden. Zudem habe RWE während des Moratoriums keinen Versuch unternommen, Biblis A wieder in Betrieb zu nehmen. Block B sei ohnehin wegen einer laufenden Revision nicht am Netz gewesen.
Gegenwind kam von den hessischen Grünen und der SPD. Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Norbert Schmitt, forderte den Rücktritt von Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU). Das Gericht habe "der Ministerin bescheinigt, nicht in der Lage zu sein, eine gerichtsfeste Verfügung zu treffen", sagte er. Die Grünen kritisierten, dass der Steuerzahler nun für eine verfehlte Atompolitik von Schwarz-Gelb zahlen müsse. Die Linke monierte mit Blick auf einen möglichen Schadenersatz, dass eine grob fahrlässige Veruntreuung öffentlicher Mittel in dreistelliger Millionenhöhe durch die schwarz-gelbe Landesregierung drohe.
Die Betreibergesellschaft RWE Power AG wollte die Rechtswidrigkeit des nach der Atomkatastrophe in Japan erlassenen Moratoriums feststellen lassen, um einen Schadenersatzprozess gegen das Land Hessen anstrengen zu können. RWE-Sprecherin Stephanie Schunck begrüßte das Urteil. In welcher Höhe das Unternehmen nun Schadenersatz gelten machen will, ließ sie offen. Dies werde sorgfältig geprüft. Für Schadenersatzforderungen muss RWE einen Zivilprozess vor dem Landgericht anstrengen. Ein solches Verfahren könne geraume Zeit in Anspruch nehmen, sagte Schunck.
In einer ersten Etappe des Biblis-Prozesses am VGH im Juli vergangenen Jahres hatte RWE die Schäden durch die befristete Stilllegung mit insgesamt rund 187 Millionen Euro beziffert. Damals war es zunächst nur um die Zulässigkeit der Klage gegangen, am Mittwoch um die Rechtmäßigkeit des Stillstandes selbst.
Revision nicht zugelassen
Der VGH setzte den Streitwert in den Verfahren um Biblis A und B mit jeweils 30 Millionen Euro an. Das entspricht der gesetzlichen Höchstgrenze. Die Kosten des Verfahrens wurden dem beklagten Land Hessen auferlegt. Revisionen wurde in beiden Fällen nicht zugelassen. Jedoch könnte das Land Hessen gegen diese Entscheidung Beschwerde einlegen, über die dann das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden hätte, sodass es im Erfolgsfall dann doch zu einem Revisionsverfahren käme.
In der Verhandlung hatte RWE ins Feld geführt, es sei vorab nicht zur der Sache angehört worden. Auch hätten die Ereignisse in Japan nicht für einen Gefahrenverdacht ausgereicht, der eine Stilllegung hätte begründen können. Eine "abstrakte Gefahr" reiche für einen solchen Schritt nicht. Nötig seien Sachermittlungen zu "einem konkreten Zustand einer konkreten Anlage".
Die Prozessvertreter des Landes Hessen machten geltend, das Moratorium sei aus Vorsorge für die Sicherheit der Bevölkerung geboten gewesen. Zugleich betonten sie, die Entscheidung und deren Abwägung seien Sache des Bundesumweltministeriums gewesen. Dieses habe eine Weisung erteilt, das hessische Ministerium habe sie nur vollzogen. "Das ist nichts Hessen-Spezifisches gewesen", betonte Rechtsanwalt Siegfried de Witt. Andere Kraftwerksbetreiber hätten den Schritt aber offenbar akzeptiert.
RWE ist das einzige Atomunternehmen, das wegen des Moratoriums Klage eingereicht hat. Allerdings haben mehrere Unternehmen wegen des später vereinbarten Atomausstiegs Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt.