BGH entscheidet über Rekommunalisierung von Stromnetzen
Stand: 13.12.2013
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Karlsruhe - Die beiden höchsten Gerichte der Republik stellen am kommenden Dienstag womöglich entscheidende Weichen für die Energiepolitik der Zukunft: Zunächst verkündet das Bundesverfassungsgericht, ob der Braunkohletagebau weiter ungehindert ganze Dörfer wegfressen darf. Bedeutsamer noch sind die beiden Verfahren vor dem Bundesgerichtshof(BGH) über die Rekommunalisierung des Stromnetzes zwischen einer Tochter des Energieversorgers E.ON und der Stadt Heiligenhafen sowie 36 weiterer Gemeinden. Die Urteile des scheidenden BGH-Präsidenten Klaus Tolksdorf könnten die Energiekonzerne insgesamt Milliarden kosten.
Das Verfahren ist bedeutsam, weil bis 2016 über 2000 Verträge zu Versorgungsnetzen auslaufen und der FDP-Slogan "Privat statt Staat" auch für zahlreiche Kommunen längst nicht mehr gilt. Immer mehr Städte wollen nun die Versorgung ihrer Bürger mit Energie selbst in die Hand nehmen. Dies ist möglich, wenn die sogenannten Wegenutzungsverträge mit Energieversorgern nach maximal 20 Jahren auslaufen.
In diesen Verträgen vergeben Kommunen gegen Gebühr die Konzession, also das Recht, Straßen und andere öffentliche Räume für die Verlegung von Stromkabeln oder Gasleitungen zu nutzen.
Bundesweiter Trend zur Rekommunalisierung
Kommunen können ausgelaufene Konzessionen aber auch an sich selbst vergeben und den Energieversorger zwingen, das Leistungsnetz an sie zu verkaufen. Wegen unklarer Formulierungen im Energiewirtschaftsgesetz ist jedoch juristisch umstritten, inwieweit solch eine Neuvergabe etwa an die eigenen Stadtwerke den Geboten des fairen Wettbewerbs folgen muss.
Weil mit Energie viel Geld verdient werden kann, sehen Städtetag, Gemeindebund und der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) mittlerweile einen bundesweiten Trend zur Rekommunalisierung: Seit 2007 haben 83 Kommunen eigene Stadtwerke neu gegründet und knapp 200 Gemeinden Konzessionen für Stromnetze selbst übernommen. Dazu zählen Großstädte wie Stuttgart, Dresden oder Hamburg, aber auch Gemeinden wie etwa das 1450 Einwohner zählende Hagnau in Baden-Württemberg.
Zweistellige Renditen möglich
Die Profite, die in Gemeindesäckel statt Aktionärstaschen fließen können, sind groß. Allein der reine Netzbetrieb bringt nach Angaben des Wuppertaler Energieinstituts eine satte Kapitalverzinsung von bis zu neun Prozent. Durch geschickte Finanzierungen können Renditen auch zweistellig werden und kleinere Städte wie etwa das südbadische Achern sechsstellige Dividenden einfahren, schreibt deren Bürgermeister Klaus Muttach in einem VKU-Ratgeber zur Rekommunalisierung.
Solche dauerhaft sprudelnden Geldquellen ermöglichen es Städten, chronisch defizitäre Einrichtungen wie Schwimmbäder, Kindergärten oder Altenheime über eine rechtlich zulässige Quersubventionierung am Leben zu erhalten. Zudem können sie als Akteure auf dem Energiemarkt mit entscheiden, ob Strom grün, Netze intelligent oder die Energieversorgung dezentralisiert werden sollen.
Energieversorger rufen die Gerichte an
Die Energieversorger wehren sich aber mit allen Mitteln gegen den Verlust ihrer marktbeherrschenden Stellung und klagen vor Gerichten, dass Gemeinden bei der Neuvergabe der Konzessionen an sich selbst wiederum die eigene marktbeherrschende Stellung missbrauchten.
Der BGH muss nun in den beiden strittigen Fällen entscheiden, ob Städte wegen kartellrechtlicher Gebote die Neuvergabe von Wegerechten grundsätzlich in einem Wettbewerb ausschreiben und dabei Qualitätskriterien wie die Sicherung des störungsfreien Netzbetriebs beachten müssen.
Dieser Auffassung war das Oberlandesgericht Schleswig und hatte sich dabei auf das Bundeskartellamt berufen. Die Behörde hatte 2010 die Hürden beim Wettbewerb um die Netze nach Ansicht der Kommunen so hoch gelegt, dass Rekommunalisierungen nur noch schwer möglich seien.
Die Kläger erhoffen sich vom BGH die Stärkung ihrer kommunalen Selbstverwaltung. Kommunen seien laut Grundgesetz für die "örtliche Daseinsvorsorge" verantwortlich; dem müsse sich das Energiewirtschaftsgesetz unterordnen, argumentiert etwa der Deutsche Städte- und Gemeindebund.