Atompaket erhitzt die Gemüter - segnet Wulff es trotzdem ab?
Stand: 03.11.2010
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Berlin - Auch nachdem die vieldiskutierte Atom-Entscheidung gefallen ist, kommt die schwarz-gelbe Regierungskoalition nicht zur Ruhe: Es hagelt Kritik aus den eigenen Reihen, neue Informationen über Gorleben und Schlupflöcher bei der Atomsteuer lassen die Laufzeitverlängerung in schlechtem Licht dastehen. Wird Bundespräsident Wulff das Atompaket dennoch absegnen?
Auch wenn SPD, Grüne und Linke von Gier und Tricksereien sprechen, dem Energiekonzern RWE ist kaum ein Vorwurf zu machen. Da der Atomreaktor Biblis B wegen eines Turbinenschadens heruntergefahren werden muss, werden nebenbei auch 92 Brennelemente gewechselt. Da die neue Steuer auf Kernbrennstoffe erst 2011 in Kraft tritt, spart der Konzern so 280 Millionen Euro. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) könnte dadurch die angepeilten 2,3 Milliarden Euro durch die Atomsteuer im kommenden Jahr deutlich verfehlen.
Schlupflöcher für Energiekonzerne
Die Regierungsjuristen scheinen schlecht verhandelt zu haben. Die Regierung hatte etwa im Atom-Vertrag mit den Energieunternehmen Schlupflöcher offengelassen, einiges beim Atompaket wurde nach Ansicht nicht nur von Oppositionsabgeordneten mit heißer Nadel gestrickt. "Ein ehrliches parlamentarisches Beratungsverfahren hätte diese Missstände bereits im Vorfeld aufdecken können", sagt der SPD-Umweltpolitiker Matthias Miersch.
Dass ausgerechnet auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) von einer "Zumutung" beim Tempo der Atom-Beratung spricht und der Unions-Obmann des Umweltausschusses im Bundestag, Josef Göppel, (CSU) die Laufzeitverlängerung und ihre Begleitumstände als Programm zur eigenen Abwahl sieht, ist Wasser auf die Mühlen der Opposition. In der Union rumort es - auch wenn Kanzlerin Angela Merkel zu beschwichtigen versucht: "Die Regierung hat den Bundestag nicht unter Druck gesetzt", sagte die CDU-Chefin der "Passauer Neuen Presse".
Unterzeichnet Wulff das Atomgesetz?
Die Hoffnung der Opposition richtet sich nun auf Bundespräsident Christian Wulff. "Lammert hat ihm die Steilvorlage gegeben", sagt ein hoher Oppositionsvertreter. "Er muss jetzt nur noch den Fuß hinhalten." Wenn er das Atomgesetz nicht unterzeichne, könne er sich als unabhängiger Präsident etablieren. "Das würde sein Standing in der Bevölkerung massiv erhöhen." Im Internet haben schon rund 65.000 Bürger auf der Seite campact.de die Aufforderung "Herr Wulff, unterschreiben Sie das Atomgesetz nicht" unterzeichnet. Jeden Tag werden es tausende mehr.
Weil Schwarz-Gelb im Bundesrat keine Mehrheit hat, will die Koalition die Verlängerung der Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre ohne die Länderkammer beschließen. Im Atomvertrag mit den Energiekonzernen wurde vereinbart, dass das Laufzeitplus zum 1. Januar 2011 in Kraft treten soll. Deshalb hat Wulff nicht viel Zeit - neben der Ausgestaltung der Gesetzesnovellen und der Rechtmäßigkeit der Parlamentsberatungen muss er prüfen, ob eine Umgehung der Länderbeteiligung rechtens ist.
SPD und Grüne erhöhen noch den Druck: Zu Wulffs Zeiten als niedersächsischer Ministerpräsident habe dessen Sprecher auf eine Zustimmungspflicht des Bundesrats hingewiesen. "An diesem Wort werden wir den Bundespräsidenten Wulff natürlich messen", betont SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber. Grünen-Chefin Claudia Roth sagt: "Wenn Herr Wulff als Ministerpräsident der Meinung war, dass man die Bundesländer einbeziehen muss in die Atompolitik, kann er diese Meinung ja nicht einfach entsorgen im Bundespräsidialamt."
Gorleben ist weiterhin ein heißes Thema
Zusätzlich erzürnt ist die Opposition über Neuigkeiten im Kampf um ein Endlager in Gorleben. Erst nach der Atom-Entscheidung betonte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), dass angesichts fehlender Salzrechte womöglich kein Urteil über die Eignung des Salzstocks als Endlager für hochradioaktiven Atommüll möglich sei. Zudem gibt es Berichte über Gasfunde, die die Lagerung von Atommüll laut Greenpeace zum hohen Sicherheitsrisiko machen könnten. Die Opposition hält Röttgen vor, es sei unehrlich, erst den Eindruck zu erwecken, Gorleben könne geeignet sein auch für den nun zusätzlich anfallenden Atommüll und nach der Atom-Entscheidung dann zurückzurudern.
Da Schwarz-Gelb bisher nur auf Gorleben setze, sei Röttgens Erkenntnis - ungeachtet aller grundsätzlichen SPD-Bedenken gegen den Standort - eine "Bankrotterklärung", sagt der SPD-Politiker Miersch. Denn auch hier könnte es ein Schlupfloch geben: Der Atomvertrag lässt sich in Punkt 4.1 so auslegen, dass Kosten durch eine alternative Endlagersuche von den Zahlungen an den Bund komplett abziehbar sind.
Atom-Entscheidung bleibt nicht ohne Folgen
Es gibt einige Kollateralschäden nach der Atom-Entscheidung: Unmut in den eigenen Reihen, ein vergiftetes Verhältnis zur Opposition und erzürnte Polizisten, die bei Anti-Atom-Einsätzen den Kopf hinhalten müssen. Und: Am Ende dürften weit weniger als die von der Regierung versprochenen 30 Milliarden Euro von den Konzernen abgeschöpft werden - hinzu kommen Zusatzkosten wie der Castor-Einsatz am Wochenende mit weit über 15.000 Polizisten: Der wird vom Steuerzahler bezahlt.