Hannover/Berlin (dpa) - Die Missstände im niedersächsischen Atommülllager Asse haben eine heftige Kontroverse über die ungelöste Frage der Endlagerung nuklearer Abfälle ausgelöst. Atomkraftgegner und Politiker von SPD und Grünen kritisierten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Wochenende scharf. Diese hatte sich offen für Gorleben als einziges Endlager für hoch radioaktiven Atommüll aus Kernkraftwerken ausgesprochen.
Unions-Politiker forderten am Wochenende, den Erkundungsstopp in dem dortigen Salzstock sofort aufzuheben und sehen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) am Zug. Dieser hält jedoch an seinem Konzept fest, neben Gorleben auch andere Standorte für ein Endlager in Deutschland zu prüfen.
"Es ist skandalös und
grob fahrlässig, wenn die Kanzlerin angesichts der absaufenden Asse nach dem Motto "Augen zu und durch" agiert", kritisierte die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Renate Künast. Niedersachsens SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner sagte: "Wir haben kein Verständnis für Frau Merkel, die aus finanziellen Gründen ohne Rücksicht auf Sicherheitsfragen Gorleben durchsetzen will. Das wird eine harte Auseinandersetzung in den nächsten Wochen." Auch die Anti-Atom-Initiative "X-tausendmal quer" kritisierte, Merkel gehe es nicht um einen verantwortungsvollen Umgang mit
Atommüll.
Die Pannen im einsturzgefährdeten Atommülllager Asse bei Wolfenbüttel, wo schwach- und mittelradioaktiver Müll lagert, haben unterdessen Streit unter den Oppositionsfraktionen im niedersächsischen Landtag entfacht. Die Grünen forderten die SPD am Wochenende auf, einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zuzustimmen. SPD-Fraktionschef Jüttner sieht nach dem vereinbarten Betreiberwechsel bei der Asse darin aber wenig Sinn. Er sagte der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Samstag): "Um noch eine Menge differenzierter Details vorzulegen, ist so ein Untersuchungsausschuss recht aufwendig." Dies stehe vermutlich in keinem Verhältnis zum politischen Ertrag.
Die stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Katharina Reiche, warnte laut "Spiegel" in einem Strategiepapier der Bundestagsfraktion, die von Gabriel verlangte Suche nach Alternativen zu Gorleben werde mindestens eine Milliarde Euro kosten. Sie befürchtet, die
Energiekonzerne könnten Regressforderungen in Milliardenhöhe an den Bund stellen.
Die Union forderte Bundesumweltminister Gabriel auf, ein Konzept zur Endlagerung von Atommüll vorzulegen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Norbert Röttgen, sagte der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Samstag), Gabriel sei bis heute einen Entwurf für ein Endlagergesetz schuldig geblieben. Das Bundesumweltministerium reagierte darauf mit scharfer Kritik, da Gabriel sein Konzept bereits 2006 den Koalitionsspitzen vorgelegt hatte.
Gabriel erklärte nach Angaben seines Sprechers, die CDU-Politikerin Reiche "verteidigt nur die Interessen der süddeutschen Atomlobby, die neue Atomkraftwerke will, aber zu feige ist, bei sich zu Hause nach geeigneten
Endlagern zu suchen". Umwelt-Staatssekretär Michael Müller nannte die Aussagen Röttgens "dreist". Die Union habe sich mit ihren Forderungen nach längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke selbst ins Abseits manövriert.
Nach Ansicht des Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, wurden die Herausforderungen der Endlagerung von Atommüll in den vergangenen Jahrzehnten systematisch unterschätzt.