Trotz gesetzlicher Pflicht: Über 80 Prozent der Behörden-Services bleiben offline
20.12.2022 | 09:36
Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: Verivox
Heidelberg. Deutschland hat sein Digitalisierungsziel für die öffentliche Verwaltung verfehlt: Aktuell können Bürgerinnen und Bürger gerade einmal ein Fünftel aller Behörden-Services über das Internet in Anspruch nehmen. Jedoch müssten laut dem Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs (OZG) bis Ende des Jahres sämtliche Verwaltungsleistungen online verfügbar sein. Auch im europäischen Vergleich schneidet Deutschland bei digitalen Behördendiensten schlecht ab, wie eine Analyse des Vergleichsportals Verivox zeigt.
Keine nennenswerten Fortschritte seit dem Frühjahr
Nur 101 von 579 Verwaltungsleistungen sind derzeit komplett online nutzbar. 143 behördliche Dienstleistungen sind teilweise online abrufbar und 326 Leistungen sind gar nicht digitalisiert. Gegenüber einer Verivox-Auswertung aus dem März dieses Jahres zeigen sich nur kleine Fortschritte: Damals waren 89 OZG-Leistungen vollständig digital abrufbar. "Der wichtige Digitalisierungsprozess hin zu einer effizienteren, bürgerfreundlicheren Verwaltung kommt kaum voran", sagt Jens-Uwe Theumer, Vice President Telecommunications bei Verivox. "Die fehlende technologische Standardisierung rächt sich, das gilt für Behörden ebenso wie für Schulen."
Zu den bereits online nutzbaren Leistungen gehören Anträge auf Arbeitslosengeld, Pflegegeld oder Führerscheine – aber auch Anzeigen sowie die Steuererklärung sind bundesweit vollständig online möglich. Unter 14 festgelegten Themenfeldern ist der Bereich Ein- und Auswanderung Schlusslicht bei der Digitalisierung: Keine einzige der insgesamt 18 zugewiesenen Leistungen ist vollständig online durchführbar. Im Bereich Gesundheit ist die Digitalisierung am weitesten gediehen; fast ein Drittel der Leistungen (etwa ein Antrag auf Krankengeld) lässt sich online abrufen.
Auch priorisierte Dienste wurden nur zu 20 Prozent erfüllt
Im Mai 2022 wurden 35 OZG-Leistungen priorisiert, um diese vorrangig digital bereitzustellen. Hauptkriterium bei der Priorisierung war laut IT-Planungsrat eine "stärker ausgeprägte Relevanz" für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen. Die Auswahl der vorgezogenen Leistungen lässt daran jedoch zweifeln: Priorisiert wurden neben der Ummeldung des Wohnsitzes unter anderem der Antrag auf eine Waffenbesitzkarte sowie die Anmeldung als Wahlhelfer.
Mithilfe der Priorisierung sollte nicht nur "ein sichtbarer Fortschritt in der OZG-Umsetzung", sondern auch eine "erfahrbare Verbesserung der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen" erzielt werden. Doch Mitte Dezember 2022 sind nur 7 dieser 35 Dienste deutschlandweit digital verfügbar; 14 Leistungen sind lediglich teilerfüllt und 14 blieben komplett offline.
Im EU-Vergleich nicht einmal digitaler Durchschnitt
Die unzureichende Digitalisierung der deutschen Verwaltung bestätigt sich auch im europäischen Vergleich. In einer aktuellen Veröffentlichung der EU-Kommission zur Online-Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen belegt Deutschland Platz 21 von 35 Ländern und wird mit einem Digitalisierungsgrad von 63 Prozent unterdurchschnittlich bewertet (EU-Durchschnitt: 68 Prozent). Besonders schlecht schneiden deutsche Behörden bei den verfügbaren Instrumentarien zur Umsetzung der Dienstleistungen ab.
Bewertet wurden etwa die Verfügbarkeit einer elektronischen Identifizierung, aber auch die Verknüpfung mit hinterlegten Daten sowie die Möglichkeit, auf Wunsch ausschließlich digitale Kommunikationswege zu nutzen. "Der EU-Report legt den Finger in die Wunde: Es fehlt oft schon an einfachen digitalen Werkzeugen", sagt Jens-Uwe Theumer. "Vielfach gibt es in deutschen Behörden zum Beispiel noch nicht einmal die Möglichkeit zum digitalen Upload von Dokumenten."
Zum Hintergrund: Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes
Das Onlinezugangsgesetz soll auf Bundesebene, aber auch regional von Ländern und Kommunen umgesetzt werden. Die 579 OZG-Leistungen wurden in 14 Themenfelder unterteilt (zum Beispiel Arbeit & Ruhestand oder Gesundheit), welche im Grundsatz auf Länderebene betreut werden. Bei insgesamt 115 Leistungen ist der Bund federführend. Im OZG heißt es, dass eine Leistung dann als digitalisiert gilt, wenn die Beantragung der Leistung einschließlich aller Nachweise online abgewickelt werden kann. Ist eine OZG-Leistung vollständig online durchführbar, erhält sie von den Behörden den Reifegrad 3, der niedrigere Reifegrad 2 ermöglicht eine teilweise digitale Durchführung.
Das Vergleichsportal Verivox hat den Bearbeitungsstand der OZG-Leistungen am 12. Dezember 2022 ausgewertet. Die Angaben wurden den unten verlinkten OZG-Informationsplattformen entnommen. Zum Auswertungszeitpunkt wurden auf der OZG-Plattform 579 Leistungen aufgeführt, im März 2022 waren es 581. Laut Bundesinnenministerium kommt es immer wieder zu Veränderungen im OZG-Katalog, weil im agilen Prozess z.B. neue OZG-Leistungen entstehen oder vorhandene zusammengelegt werden.