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Sind Notenbanker allwissend? Weisheiten auf dem Prüfstand

Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: dpa-AFX

Frankfurt - Seit der Finanzkrise stehen Notenbanker mehr und mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Sie entscheiden über Grundsatzfragen, etwa wie hoch die „gesunde“ Inflation sein sollte. Manche Experten erwarten sogar einen Kampf gegen die Sinnkrise des Kapitalismus. Doch was können Notenbanker wirklich leisten?

1. Niedrige Leitzinsen lassen die Inflation steigen

So steht es in den ökonomischen Lehrbüchern. Der Gedanke: Sinken die Zinsen, wird die Kreditaufnahme angefacht. Gleichzeitig sinkt der Anreiz zum Sparen. Das treibt die Nachfrage nach oben und damit auch die Preise. Bei zu hoher Inflation sollten Notenbanken demnach die Leitzinsen anheben - steigen die Preise zu schwach, sind Zinssenkungen geboten. Doch die Praxis ist nicht ganz so einfach: Trotz einer historisch lockeren Geldpolitik gelang es führenden Währungshütern weltweit bislang nicht, die Inflation nachhaltig in Schwung zu bringen.

Das hat inzwischen unter Experten eine grundsätzliche Debatte ausgelöst. "Wie viel wissen wir wirklich über die Inflation?", fragte kürzlich Claudio Borio, Experte bei der BIZ, der Dachorganisation der Zentralbanken. Internationale Konkurrenz und neue Technologien schwächen laut Borio die Macht der Unternehmen bei der Preissetzung. Die Globalisierung und technischer Fortschritt könnten demnach viel entscheidender für die Inflationsentwicklung sein als bislang angenommen - und die Rolle der Geldpolitik viel geringer.

2. Wenn der Arbeitsmarkt brummt, steigen die Löhne

Ein entscheidender Grund für die schwache Teuerung in führenden Industrieländern ist die vergleichsweise schwache Lohnentwicklung. Bei ihrer jüngsten Zinssitzung rätselten die Währungshüter der US-Notenbank Fed über die Gründe und diskutierten, inwiefern alte Annahmen heute noch halten. Denn in den USA ist die Arbeitslosigkeit derzeit mit 4,3 Prozent so niedrig wie seit 16 Jahren nicht. Das müsste laut ökonomischer Theorie eigentlich zu steigenden Löhnen führen, weil sich die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer verbessert. Doch es passiert wenig. Einige US-Währungshüter plädieren daher inzwischen dafür, die bisherigen Prognosemodelle zur Inflation grundlegend zu überdenken.

3. Anleihekäufe der Notenbanken schieben die Kreditvergabe an

Seit März 2015 kauft die Europäische Zentralbank (EZB) monatlich Wertpapiere im Milliardenvolumen, um die Kreditvergabe der Banken anzukurbeln. Die Idee dahinter: Wenn die Währungshüter Banken sichere Wertpapiere abkaufen, vergeben die Institute alternativ mehr Kredite an Unternehmen. Inzwischen schwimmen die Banken im Euroraum in Zentralbankgeld; auf EZB-Konten halten sie derzeit gut 1,7 Billionen Euro Überschussliquidität.

Trotzdem zieht die Kreditvergabe nur verhalten an. Laut der Deutschen Bundesbank wird das Kreditvolumen durch die Nachfrage der Unternehmen und Privatpersonen einerseits sowie durch die Abwägung von Risiken und Kosten durch die Geschäftsbanken andererseits beschränkt. Wie viel Zentralbankgeld die Geschäftsbanken vorrätig haben, sei dagegen nicht entscheidend. Die Wertpapierkäufe können demnach die Kreditvergabe nur beeinflussen, insofern sie auf das Zinsniveau an den Finanzmärkten wirken.

4. Lockere Geldpolitik verbessert die Finanzierungsbedingungen

Auch das ist nicht so klar, wie oft gedacht. Denn welche Reaktionen die Geldpolitik an den Finanzmärkten hervorruft, folgt keinem vorgezeichneten Muster. Besonders paradox erscheint zurzeit die Situation in den USA: Dass die Fed dieses Jahr bereits zweimal ihren Leitzins angehoben hat, führte nicht zu einer Verschärfung der Finanzierungsbedingungen.

Dies belegt unter anderem ein entsprechender Indikator der Nachrichtenagentur Bloomberg, der neben den kurzfristigen Zinsen auch die Situation an den Anleihe- und Aktienmärkten berücksichtigt.

Stattdessen ist das Gegenteil der Fall: "Obwohl wir die kurzfristigen Zinsen angehoben haben, sind die Finanzierungsbedingungen heute lockerer als vor einem Jahr", sagte der US-Notenbanker William Dudley kürzlich der Nachrichtenagentur Associated Press. Daher seien weitere geldpolitische Straffungen angebracht, so der Währungshüter.