Handy, E-Mail, soziale Netzwerke und die neue Verbindlichkeit
Stand: 01.06.2010
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Hamburg - Kaum eine private Verabredung gelingt heutzutage nach einem einzigen Versuch. Smartphone, Facebook und Co. scheinen feste Vereinbarungen zu einem Phänomen der Vergangenheit werden zu lassen. In Zeiten von Handy, E-Mail und sozialen Netzwerken gelingen Verabredungen häufig erst nach vielen Anläufen. Die Manieren verändern sich. Triumph der Unverbindlichkeit oder einer neuen Ehrlichkeit?
Gar nicht lustig findet das die "Generation Festnetz", wie die Autorin Meike Winnemuth (49) kürzlich im "Süddeutsche Zeitung Magazin" beschrieb: "bestenfalls vage Zusagen, mehrfaches Umdisponieren, kurzfristige Absagen. Mal sehen. Ich melde mich. Lass uns telefonieren". Unhöflich sei es heute nur noch, sich gar nicht zu melden - oder aber unerreichbar zu sein, wenn jemand absagen will.
Die Psychologin Gabrielle Rütschi aus Zürich schrieb schon 2008 das Buch "Vielleicht. Die unverbindliche Verbindlichkeit". Sie meint, E-Mail und SMS machten es jedem sehr leicht, unverbindlich zu sein. Sie sorgten dafür, dass man sich der Enttäuschung anderer nicht mehr stellen müsse. Deshalb sinke die Hemmschwelle, kurzfristig abzusagen oder Versprechen zu brechen. Rütschi rät aufzuteilen: Unter Freunden sei Verbindlichkeit wichtig, bei entfernteren Bekannten weniger.
Kalkül: wichtig versus unwichtig
Autorin Winnemuth beobachtet, dass das bereits üblich ist: "Wer ist dringend? Wer ist wichtig und dringend? Diejenigen, von denen man was will - einen Job, einen Rat oder vielleicht auch nur Liebe -, haben Vorrang", schrieb sie. Für die anderen gelte eine komplizierte Gleichung aus "lange nicht gesehen/schon öfter vertröstet/bin sowieso gerade in der Gegend/ist meist ganz lustig".
Der Hamburger Psychologe und Respektforscher Tilman Eckloff (34) sieht diese Gleichung und diese Verhaltensweisen auch - aber er sieht darin nicht automatisch das Ende der Verbindlichkeit. Er meint: "Heute besteht die Tagesplanung oft aus vielen parallelen Optionen, die so lange hin- und hergeschoben werden, bis es passt."
Terminplanung: Früher statisch, heute flexibel
Früher habe man sich darauf verlassen, dass der Andere eine Verabredung einhält und pünktlich kommt. Einen Termin nicht einzuhalten, war oft gleichbedeutend damit, die Zeit des Freundes oder Bekannten zu vergeuden. Das hatte auch technische Gründe, weil man vor der Handy- und Smartphone-Ära nicht mal eben schnell anrufen oder schreiben konnte.
Das sei heute anders, sagt Eckloff. "Wenn man davon ausgehen kann, dass alle ihre Termine flexibel handhaben, dann ist eine SMS "Sorry, ich komme eine halbe Stunde später" nicht so schlimm. Man kann dann schnell noch einkaufen gehen oder Wäsche aufhängen, ohne dass automatisch ein ärgerlicher Zeitverlust entsteht." Umplanen sei für viele heute nichts Unangenehmes, sondern eher ein Stück Freiheit.
Generation Mobil: ehrlicher zu sich selbst
"Zufällige Möglichkeiten am Wegesrand kann man viel besser integrieren. Stimmungen und ungeplante Ereignisse kann man besser in Verbindung bringen." Die "Generation Mobil", die Eckloff nicht an ein bestimmtes Alter bindet, sei im Grunde viel ehrlicher - zu sich selbst und miteinander. "Früher war das Leben statisch, Ausgemachtes war fix, heute ist alles viel fließender."
Fazit des Psychologen: Das Verständnis von Verbindlichkeit geht mit der Zeit und passt sich den technischen Gegebenheiten an. Zusagen muss man nicht mehr um jeden Preis einhalten, weil der moderne Mensch die Mittel hat, den Tag flexibler zu gestalten. Offensichtlich befindet sich die Gesellschaft aber im Umbruch und nicht alle verstehen Verbindlichkeit bereits auf diese Weise - also nach dem interaktiven 2.0-Prinzip. Deshalb wird Respekt ein wichtiger Wert. Er drückt sich darin aus, zu erkennen, welche Art von Terminvereinbarung derjenige braucht, mit dem man es gerade zu tun hat.