Volkswirte erwarten deutlichen Lohnanstieg in Deutschland
Stand: 12.10.2010
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Frankfurt/Main - Volkswirte unterstützen den Ruf der Politik nach höheren Löhnen. Der Chefvolkswirt der staatlichen KfW- Bankengruppe, Norbert Irsch, sagte am Dienstag in Frankfurt: "Damit die Binnenwirtschaft anspringt, wäre eine Tarifrunde mit Lohnerhöhungen von durchschnittlich gut drei Prozent erforderlich."
Nach Überzeugung von Konjunkturexperten der Commerzbank sprechen auch die in Deutschland erwarteten weiter sinkenden Arbeitslosenzahlen für einen Lohnanstieg. Chefvolkswirt Jörg Krämer prognostizierte für 2011 weniger als drei Millionen Arbeitslose in Deutschland. Die Arbeitslosenquote sinke - entgegen dem Trend im Euroraum - von 7,7 Prozent in diesem Jahr auf 7,2 Prozent. Dies wirke sich auf die Löhne aus, erklärte Krämer: "Der große Faktor, der die Löhne treibt, ist die Arbeitslosenquote."
Da die meisten Tarifverträge erst Ende 2011 auslaufen, werden viele Arbeitnehmer den Aufschwung bei den Gehältern aber erst ein Jahr später spüren - dann aber richtig: "Wir denken, der Lohnauftrieb in Deutschland wird ab 2012 deutlich zunehmen", sagte Commerzbank- Analyst Ralph Solveen.
Zuletzt hatten sich die Tarifpartner in der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen auf 3,6 Prozent mehr Lohn und Gehalt für die Beschäftigten verständigt. Daraufhin hatte sich Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) für deutlich höhere Löhne in Deutschland ausgesprochen: "Wenn die Wirtschaft boomt, sind auch kräftige Lohnerhöhungen möglich." Der Abschluss in der Stahlbranche habe gezeigt, dass ein fairer Ausgleich möglich ist, an dem sich vielleicht andere Branchen orientieren könnten.
Der Vorstoß brachte Brüderle zwar heftige Kritik ein. Gewerkschaften, Arbeitgeber und Opposition hatten ihm vorgeworfen, er mache es sich mit populären Forderungen nach einem kräftigen Schluck aus der Lohnpulle zu einfach. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stärkte dem Minister hingegen den Rücken.
Im starken zweiten Quartal 2010 hatte der private Konsum leicht zum Aufschwung beigetragen, Lokomotive für das Wachstum von 2,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal waren aber die Exporte. Deutschland wird immer wieder ermahnt, die Binnennachfrage anzukurbeln, weil das Land bisher zu sehr auf Kosten Dritter wachse.
Aus Sicht der Commerzbank hat Deutschland ohnehin viel Spielraum für Lohnsteigerungen. Schließlich seien die Lohnstückkosten seit der Jahrtausendwende in den südlichen Euroländern um 30 bis 40 Prozent gestiegen, während sie in Deutschland kaum zugelegt hätten. Damit habe sich Deutschland einen hohen Wettbewerbsvorteil erarbeitet und bleibe auch auf längere Sicht auf der Überholspur.
Das Gefälle im Euroraum zwinge die südlichen Länder geradezu zur Lohnzurückhaltung, um im Wettbewerb gegenüber Deutschland Boden gutzumachen. Die große Kluft zwischen Deutschland und hoch verschuldeten Ländern wie Spanien, Griechenland oder Irland werde dadurch zwar allmählich schrumpfen - bemerkbar werde sich das jedoch erst in einigen Jahren machen.
Die Commerzbank rechnet in diesem Jahr für die Bundesrepublik mit einem Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent. Für 2011 stellen sie unter anderem wegen der auslaufenden Konjunkturpakete 2 Prozent in Aussicht, sagte Krämer: "Die Wachstumsdelle im erfolgsverwöhnten Deutschland ist ein Luxusproblem."