Obdachlosigkeit in Griechenland greift um sich
Stand: 23.07.2015
Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: AFP
Athen - Die Finanzkrise in Griechenland trifft die armen Teile der Bevölkerung besonders hart. Immer mehr Obdachlose blicken in eine ungewisse Zukunft. "Griechenland wird niemals sterben, aber die Griechen sterben." Es klingt fatalistisch, wenn der 45-jährige Andreas über die Folgen der Finanzkrise in seinem Land spricht. Denn der frühere Bauarbeiter spürt die Krise am eigenen Leib: Er verlor seinen Job und ist seit sechs Monaten obdachlos. Gemeinsam mit Michalis, der seit drei Jahren auf der Straße lebt, sitzt Andreas an diesem Julitag auf einer Bank auf einem Platz in der griechischen Hauptstadt.
"Kein Haus, kein Badezimmer, kein Leben", fasst der bärtige Michalis seine Situation in einer Mischung aus Englisch und Griechisch zusammen. Über der Bank neben einer orthodoxen Kirche flattert die griechische Flagge im Wind. Der Buchladen am Platz hat seine Rollläden heruntergelassen.
Michalis zieht ein Buch aus seinem Rucksack: Es ist vom Dichter Giorgos Seferis, griechischer Literaturnobelpreisträger von 1963 und Stimme des Widerstands gegen die Militärdiktatur. Der Obdachlose schreibt mit einem roten Stift auch seine eigenen Gedanken nieder. Die Überschrift heißt "Einsamkeit".
Seit dem Jahr 2010 leiden viele Griechen unter der Wirtschaftskrise. Die Löhne wurden gekürzt, viele Menschen wurden arbeitslos. Ein Viertel der aktiven Bevölkerung hat keine Arbeit, bei den Jugendlichen ist es sogar die Hälfte. Hinzu kommen die Einsparungen im sozialen Sektor, etwa Rentenkürzungen, sowie Steuererhöhungen. Mitte Juli sicherte Athen den internationalen Geldgebern dann weitere einschneidende Reformen zu - dies war die Bedingung für ein drittes Kreditprogramm, ohne das Griechenland die Staatspleite droht.
Viele arme Griechen werden von Verwandten unterstützt. Nicht so Andreas und Michalis. Sie sind wie immer mehr Menschen auf fremde Hilfe angewiesen. "Wir haben große Lücken in der sozialen Grundversorgung", sagt Giannis Kondogiannakis von der Organisation Praksis. Er leitet eine Tageseinrichtung für Arme und Obdachlose. Hier gibt es kostenloses Essen, medizinische Hilfe, eine Waschmaschine und eine Dusche.
In der Einrichtung werden pro Tag bis zu 130 Menschen aufgenommen. Während früher vor allem Migranten das Zentrum aufgesucht hätten, seien es heute zu 40 bis 50 Prozent Griechen, sagt Kondogiannakis. Durch die geplanten weiteren sozialen Einschnitte werde sich die Lage für viele Betroffene noch verschlimmern, meint er.
Unterhalb der Akropolis, im Stadtteil Monastiraki, wird ein riesiger Topf Spaghetti gekocht. Seit vier Jahren versorgt dort eine Gruppe Freiwilliger, darunter Obdachlose, mittellose Menschen mit einer warmen Mahlzeit und leistet ihnen Gesellschaft. Dimitris Fouraski ist seit drei Jahren obdachlos. Er verlor seine Arbeit in einer Reifenfabrik, vor kurzem fand er einen Unterschlupf in einem leer stehenden Gebäude. Der 50-Jährige will an eine bessere Zukunft glauben. "Ich glaube an Gott, aber ich erwarte nichts von ihm", sagt er.
Im Zentrum von Athen zeigt Foteini Kyzouli, was sie gerade in einer von der Kommune und der orthodoxen Kirche geleiteten Einrichtung geschenkt bekam: zwei Portionen Erbsen, Kartoffeln und Brot. Noch vor kurzem hatte die 62-Jährige auf der Straße Prospekte mit Hilfsangeboten an Obdachlose verteilt - nun lebt sie selbst auf der Straße. "Ich habe in der Illusion gelebt, dass die Krise mich nicht treffen würde", sagt die Frau.
Auf ihrer Bank diskutieren Andreas und Michalis lebhaft über Politik. Sie beklagen sich über eine Welt, in der "das Geld Gott" sei und schimpfen über die "faschistische" Wirtschaft. Dann stehen sie auf und holen sich ein warmes Essen. "Wir haben noch nicht das Ende der Krise erreicht, wir sind noch immer im freien Fall", sagt Andreas. "Wo soll das hinführen?"