Nach S&P-Rundumschlag: Forderung einer europäischen Ratingagentur
Stand: 18.01.2012
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Berlin - Nach der Herabstufung Frankreichs und anderer Euro-Länder sowie des Euro-Rettungsschirms EFSF werden die Rufe nach einer europäischen Ratingagentur bei den Koalitionsparteien immer lauter. Union, FDP und Linke machten sich am gestrigen Dienstag für eine solche Agentur stark. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) stellte die Einrichtung einer Ratingagentur nach dem Vorbild der unabhängigen Stiftung Warentest in den Raum. Politiker von SPD und Grünen schlossen sich der allgemeinen Kritik an den amerikanischen Ratingagenturen nicht an.
Es sei "höchste Zeit", den anglo-amerikanischen Ratingagenturen mehr Wettbewerb entgegenzusetzen, sagte Westerwelle der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom Dienstag. Deren Entscheidungen seien auch politisch bedingt. Der Minister kündigte an, mit seinen europäischen Kollegen über die Einrichtung einer Ratingagentur zu beraten.
Europäische Agentur "politische Top-Priorität"
Nach Einschätzung von CDU/CSU-Parlamentsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU) gewinnt die Debatte durch die von S&P beschlossene Herabstufung der Bonität europäischer Kreditnehmer neue Dringlichkeit. Eine europäische Agentur sei zu einer "politischen Top-Priorität" geworden, sagte er. Es sei aber noch zu früh zu entscheiden, ob solch eine Agentur als Stiftung oder anders organisiert werden soll. Altmaier kündigte Gespräche mit dem Koalitionspartner FDP an.
Auch der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) forderte eine europäische Agentur als Gegengewicht zu den US-dominierten Anbietern. Deren Vorgehen wirke bisweilen "wie eine ganz bewusste gegen Europa gezielte Aktion", sagte er im Sender Phoenix.
"So viel Anti-Amerikanismus war bei CDU und FDP noch nie."
Spitzenpolitiker von SPD und Grünen nahmen die Rating-Agenturen gegen allzu scharfe Kritik in Schutz. "So viel Anti-Amerikanismus war bei CDU und FDP noch nie", sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin in Berlin. Mit Blick auf die Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten sagte er, wenn von den Agenturen "Ramsch als Ramsch bezeichnet wird, dann sollte man das ihnen nicht vorwerfen".
Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel wollte sich der Kritik an den Agenturen nicht anschließen. "Ich glaube nicht an die Verschwörungstheorie, dass die bösen USA Europa ruinieren wollen", sagte Gabriel zu "Spiegel Online". Auch wenn Rating-Agenturen "viel Schaden" anrichten könnten, müssten die Bewertungen von Standard & Poor's "nicht zwangsläufig" falsch sein. Die Bonität der Euro-Staaten sei auch deshalb so schlecht, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihnen ein "Spardiktat" auferlege.
Ähnlich wie Trittin und Gabriel äußerte sich der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler. Er finde es "gut, dass es mit Rating-Agenturen ein Fieberthermometer gibt, das die Investoren über die Risiken ihrer Anlage informiert", sagte er zu "Handelsblatt Online".
Märkte reagieren gelassen auf Herabstufung des EFSF
Die Märkte reagierten derweil gelassen auf die Herabstufung des Euro-Rettungsschirms EFSF und mehrerer Euro-Staaten durch S&P. Der EFSF platzierte am Dienstag erfolgreich Anleihen am Markt und nahm 1,5 Milliarden Euro ein, wie die Bundesbank mitteilte. Insgesamt hätten Investoren Angebote für 4,6 Milliarden Euro abgegeben.
Weiterhin keine Einigkeit bei Transaktionssteuer
Im Streit um die Finanztransaktionssteuer äußerte Altmaier die Hoffnung auf eine baldige Einigung mit der FDP. Die Koalition habe sich bereits mehrfach in strittigen Fragen der Euro-Rettungsmaßnahmen geeinigt. "Deshalb habe ich einen unerschütterlichen Optimismus, dass es uns in diesem Jahr auch wieder gelingen wird." FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle bekräftigte aber den Widerstand seiner Partei gegen die Einführung dieser Steuer in den Euro-Staaten.