Kassenbeiträge steigen - Höchstgrenze für Zusatzbeiträge fällt
Stand: 06.07.2010
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Berlin - Nun ist es amtlich: Auf die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung kommen ab 2011 höhere Kosten zu. Nach monatelangem Gerangel verständigte sich die schwarz-gelbe Koalition am Dienstag auf die künftige Finanzierung im Gesundheitssystem. Der allgemeine Beitragssatz steigt zum Jahresbeginn von 14,9 auf 15,5 Prozent. Die gesetzlichen Kassen können künftig außerdem höhere Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern verlangen. Um die wachsenden Defizite in den Griff zu bekommen, sind auch Milliardeneinsparungen bei Versicherern, Pharmafirmen, Ärzten und Krankenhäusern geplant. Ressortchef Philipp Rösler (FDP) wertete die Einigung als Erfolg. Die Opposition hält den Minister dagegen für gescheitert. Auch die Wirtschaft ist empört.
Arbeitnehmer müssen ab dem kommenden Jahr 8,2 Prozent statt bislang 7,9 Prozent ihres Lohns in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen, Arbeitgeber tragen künftig einen Anteil von 7,3 Prozent. Den Arbeitgeberbeitrag will die Koalition bis auf Weiteres festschreiben. Kostensteigerungen im System müssen die Versicherten über Zusatzbeiträge auffangen. Die gesetzlichen Kassen können solche Extra-Beiträge bereits jetzt von ihren Mitgliedern verlangen. Diese sind jedoch gedeckelt - auf pauschal bis zu acht Euro oder auf ein Prozent des Bruttoeinkommens. Die Grenze fällt nun. Die Kassen könnten die Höhe der Zusatzbeiträge künftig völlig frei bestimmen, müssten sich damit aber im Wettbewerb mit anderen Versicherern behaupten, sagte Rösler.
Das Bundesversicherungsamt soll jährlich den durchschnittlichen Zusatzbeitrag berechnen, der nötig wäre, um die Kosten im System zu decken. Die Formel für den monatlichen Durchschnittssatz lautet grob: Defizit in der GKV durch die Zahl der gesetzlich Versicherten durch zwölf Monate. Für Geringverdiener soll es einen Sozialausgleich über Steuern geben. Übersteigt der Durchschnittswert des Zusatzbeitrages zwei Prozent des eigenen Bruttoeinkommens, gibt es Unterstützung vom Staat. Die Abwicklung läuft direkt über die Lohnabrechnung beim Arbeitgeber.
Hintergrund für die Mehrbelastung sind die Finanzprobleme im Gesundheitssystem. In der gesetzlichen Krankenversicherung droht 2011 ein Defizit von bis zu elf Milliarden Euro. Die Beitragserhöhungen sollen den Großteil der Finanzlücke schließen. Die Anhebung des allgemeinen Satzes spült rund sechs Milliarden Euro zusätzlich ins System. Weitere Milliarden will die Koalition über Einsparungen bei der Kassenverwaltung, Arzneimitteln, Ärzten und Krankenhäusern decken - im kommenden Jahr 3,5 Milliarden und anschließend vier Milliarden Euro. 2011 fließt außerdem ein Extra-Zuschuss von zwei Milliarden Euro in die GKV.
Angesichts dieser Einnahmen sei zunächst nicht damit zu rechnen, dass viele Kassen einen Zusatzbeitrag erheben müssten, sagte Rösler. Die Versicherten blieben im kommenden Jahr wohl "weitestgehend" davon verschont. Auf längere Sicht sind Zusatzbeiträge jedoch politisch gewollt.
Rösler räumte ein, er habe sich einen "echten Umbau des Systems" gewünscht. Dieser sei nun zumindest "eingeleitet". Das Konzept liefere "den Einstieg in eine dauerhafte solide Finanzierung des Gesundheitssystems". CSU und FDP hatten monatelang erbittert um eine Gesundheitsreform gestritten. Rösler hatte sich für die Umstellung auf eine einkommensunabhängige Pauschale - die Kopfpauschale - stark gemacht. Die CSU lehnte das vehement ab.
Die Wirtschaft äußerte sich enttäuscht über den nun gefundenen Kompromiss und beklagte die höhere Belastung der Arbeitgeber. Der Deutsche Gewerkschaftsbund beklagte dagegen, die Kosten würden einseitig auf die Versicherten abgewälzt, während der Arbeitgeberbeitrag eingefroren werde. Dies sei "skandalös" und "extrem unsozial".
Die Opposition bescheinigte Rösler ein Scheitern auf ganzer Linie. Der Minister stehe vor einem "gesundheitspolitischen Scherbenhaufen", sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Aus seinen großen Ankündigungen sei nichts geworden. Linksparteichef Klaus Ernst tadelte das Konzept als vollkommen unsozial. Grünen-Chefin Claudia Roth legte Rösler erneut einen Rücktritt nahe. Er und die Regierung hätten "nicht die Kraft für echte Strukturreformen".
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