EZB wartet ab: Keine weitere Lockerung der Geldpolitik
Stand: 09.09.2016
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Frankfurt - Europas Währungshüter halten die Füße still: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag ihre milliardenschweren Anleihekäufe nicht verlängert.
Warum lockert die EZB die Geldpolitik dieses Mal nicht?
Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien wollte die Notenbank abwarten, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Nun hat die EZB neue Prognosen vorgelegt: Sie glaubt, dass die Konjunktur im Euroraum dieses Jahr sogar etwas stärker zulegen wird als noch im Juni vorhergesagt. Die Aussichten für 2017 und 2018 sind fast unverändert positiv. Auch die Inflationsprognosen haben sich kaum geändert. Die Verbraucherpreise im Währungsgebiet dürften nach Einschätzung der EZB in den nächsten Monaten allmählich steigen. Für weitere Stimuli sehe er derzeit keinen Anlass, sagte Draghi.
Was bereitet der EZB Sorgen?
Seit Jahren ist die Inflation in der Eurozone extrem niedrig. Auch im August stiegen die Preise nach Berechnungen der Statistikbehörde Eurostat mit 0,2 Prozent weit weniger als von der EZB angestrebt. Sie sieht Preisstabilität bei knapp unter 2,0 Prozent gewahrt. Dauerhaft niedrige oder gar sinkende Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten Anschaffungen aufschieben, da sie erwarten, dass es noch billiger wird. Schlimmstenfalls entsteht eine Abwärtsspirale aus schrumpfenden Preisen und wirtschaftlicher Talfahrt - eine Deflation. Ein wichtiger Grund für die Mini-Inflation ist allerdings der niedrige Preis für Rohöl - und von dem profitieren Verbraucher beim Tanken und Heizen.
Was hat die Notenbank bisher getan?
Die EZB hat ihre Geldpolitik extrem gelockert. Den Leitzins senkte sie stetig - zuletzt im März auf das Rekordtief von null Prozent. Zudem verlangt sie inzwischen 0,4 Prozent Strafzinsen von Banken, wenn diese Geld bei der Notenbank parken. Das soll die Institute zwingen, mehr Kredite an Firmen und Verbraucher zu vergeben. Um die Belastung für Banken zu dämpfen, gewährt die EZB ihnen besonders günstige Langfristkredite. Zudem kauft die Notenbank seit März 2015 Staatsanleihen und andere Wertpapiere in gigantischem Umfang: Erst im März wurde das Programm verlängert, aufgestockt und auf Unternehmenspapiere ausgedehnt. Die Notenbank kauft nun jeden Monat für 80 Milliarden Euro Anleihen. Bis März 2017 sollen so 1,74 Billionen Euro in den Markt gepumpt werden.
War das alles umsonst?
Ihr Hauptziel, die Inflation in Richtung der Zielmarke von 2,0 Prozent zu treiben, verfehlt die EZB bisher. Sie hält sich jedoch zugute, eine Deflation in der Eurozone verhindert zu haben. Draghi zeigte sich am Donnerstag überzeugt, dass sein Kurs wirkt. Das billige Geld helfe beispielsweise Unternehmen bei Investitionen.
Was kann die EZB noch tun?
Die EZB könnte die Anleihekäufe bei ihrer Sitzung im Dezember verlängern, wenn sie neue Prognosen für Konjunktur und Inflation vorlegt. Eine schwächere Konjunktur oder eine niedrigere Inflation - etwa infolge des Brexit-Votums - könnten dafür Anlass sein. Ihre Handlungsbereitschaft hat die EZB untermauert. Die Anleihekäufe würden notfalls über März 2017 hinaus und "in jedem Fall so lange erfolgen", bis es eine "nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung" gebe, bekräftigte Draghi. Der Chefvolkswirt der Targobank, Otmar Lang, wertete die Entscheidungen vom Donnerstag daher als Atempause: "Die Türen für weitere monetäre Lockerungen bleiben sperrangelweit geöffnet." Ähnlich äußerte sich Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW): "Die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik der EZB ist deutlich gestiegen."
Wo liegen die Hürden?
Die EZB hat sich für ihre Anleihekäufe selbst Grenzen gesetzt. So darf sie zum Beispiel keine Papiere kaufen, deren Zinsen unterhalb des Einlagezinssatzes von derzeit minus 0,4 Prozent liegen. Doch da die EZB die Nachfrage mit ihren Käufen anheizt, sinken die Renditen. Daher haben bereits rund 60 Prozent der Bundesanleihen eine Rendite von weniger als minus 0,4 Prozent. Inzwischen hat die EZB gut eine Billion Euro in Anleihen gesteckt. Die britische Großbank HSBC rechnet damit, dass der EZB im ersten Halbjahr 2017 die als besonders sicher geltenden Bundesanleihen ausgehen werden, wenn sie die Kaufbedingungen nicht lockert. Commerzbank-Analyst Michael Schubert erwartet, "dass die EZB in Zukunft auch Staatsanleihen kauft, deren Rendite unterhalb des Einlagesatzes liegt".
Löst dies das Dilemma?
Nein, meinen Kritiker. Draghi könne sich nicht leisten, auch nur den leisesten Zweifel an der Wirksamkeit der EZB-Maßnahmen aufkommen zu lassen, schreibt Targobank-Volkswirt Lang. "Die EZB ist Gefangene ihrer eigenen Politik." Ex-Bundesbank-Präsident Axel Weber sieht die Geldpolitik nach Jahren extrem niedriger Zinsen an der Grenze ihrer Wirksamkeit: "Der Zinskanal ist verstopft." Führende Banker fordern ein Umsteuern. Die Nebenwirkungen der EZB-Politik träten "immer deutlicher zutage", warnte etwa Deutsche-Bank-Chef John Cryan.
Was sind Nebenwirkungen des billigen Geldes?
Die Niedrigzinsen haben zwar Kredite für Verbraucher wie Immobiliendarlehen historisch günstig gemacht. Doch zugleich bekommen Sparer kaum noch Zinsen für Bankeinlagen. Bei einzelnen Geldhäusern zahlen besonders vermögende Privatkunden sogar drauf, wenn sie Geld aufs Konto legen. Viele Banken erhöhen zudem ihre Gebühren - zum Beispiel für Überweisungen, Bankkarten oder Kontoführung. "Ich erwarte, dass es in einigen Jahren praktisch nirgendwo mehr kostenlose Girokonten geben wird", sagte kürzlich Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon. Versicherer und Pensionsfonds können Gelder kaum noch rentierlich anlegen. Das sorgt für Druck auf Lebensversicherungen und Betriebsrenten.
Wann steigen die Zinsen wieder?
Experten wie der Präsident der Finanzaufsicht Bafin, Felix Hufeld, richten sich auf eine lange Durststrecke ein. Wie schwer sich Notenbanken mit Zinserhöhungen tun, zeigt das Beispiel der US-Zentralbank Fed. Sie hatte die Finanzmärkte lange auf ein Ende des billigen Geldes vorbereitet. Doch seit vergangenem Dezember hat sie erst einmal die Zinsen angehoben - obwohl die US-Wirtschaft solide wächst. Wegen der schwachen Konjunktur im Euroraum liegen Zinserhöhungen der EZB nach allgemeiner Einschätzung in weiter Ferne.