Russisches Gas durch die Ostseepipeline: Fluch oder Segen?
Stand: 02.11.2011
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Moskau/Lubmin - Die große Eröffnungsfeier der Ostseepipeline Nord Stream steht kurz bevor. Doch zur Vorfreude mischen sich auch Ängste: Werden Deutschland und andere EU-Länder immer abhängiger von der Energiegroßmacht Russland?
Ihre eigene Party zum Start der Ostseepipeline Nord Stream haben Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Russlands oberster "Gasmanager" Wladimir Putin schon hinter sich. Das Gas fließt seit September von Russland über die 1224 Kilometer lange Leitung direkt nach Deutschland - unter Umgehung aller Transitländer, vor allem der Ukraine. Als die Protagonisten Putin und Schröder, der den Aktionärsausschuss bei der Nord Stream AG leitet, den Gashahn im russischen Wyborg aufdrehten, war auch klar, dass sie den Festakt am 8. November am deutschen Anlandepunkt in Lubmin Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Kremlchef Dmitri Medwedew überlassen.
Der bei der russischen Präsidentschaftswahl 2012 wieder in den Kreml strebende Putin schenkt sich den Rummel in Deutschland. Hier halten sich Ängste vor einer zunehmenden Abhängigkeit der Europäer von der Energiegroßmacht Russland und seinem Gasmonopolisten Gazprom. Ohnehin sehen die Russen die Feiertagslaune in Lubmin im Vorfeld etwas getrübt. Denn die EU-Kommission ließ Ende September wegen des Verdachts illegaler Geschäftspraktiken Erdgasfirmen in mehreren EU-Ländern durchsuchen.
Missbraucht Gazprom seine Monopolstellung?
Die Vorwürfe gegen Gazprom erstrecken sich unter anderem auf den Missbrauch der Monopolstellung, Preistreiberei und die Behinderung von Konkurrenten beim Zugang zu Gasleitungssystemen. Die Wettbewerbshüter vermuten, dass Preise abgesprochen wurden, was wiederum Kunden geschädigt haben könnte. Die Ergebnisse der Kontrollen, die Putin als "peinliche Überraschung" bezeichnet hatte, stehen noch aus.
Doch mit der Ostseepipeline sieht Russland seine Marktmacht nun vorerst weiter gestärkt. Bei der nach anderthalbjähriger Bauzeit in Betrieb genommenen Leitung handelt es sich um den ersten von zwei Strängen. Durch ihn sollen künftig 27,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr strömen. Die Gesamtkapazität beider Leitungsstränge beträgt 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr und soll 2012 erreicht werden. Damit könnten rechnerisch 26 Millionen Haushalte mit Gas versorgt werden. Gut 7,4 Milliarden Euro kostet das Projekt.
Gas-Nachfrage wird steigen
Das Gas von Gazprom, das in das westeuropäische Erdgasnetz eingespeist wird und unter anderem die Niederlande und Großbritannien versorgt, stammt aus dem Feld Juschno-Russkoje auf der westsibirischen Halbinsel Jamal in Norden Russlands. Die Region gilt als eines der weltweit größten Lagerstätten mit geschätzten Gasreserven von mehr als einer Billion Kubikmeter.
Energieexperten gehen davon aus, dass die Nachfrage in der EU bis 2030 um mindestens 200 Milliarden auf dann 516 Milliarden Kubikmeter Gas ansteigt. Nach dem Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft hofft Russland auf noch mehr Absatz bei seinem schon jetzt mit Abstand größten Energiekunden in der EU. Nicht zuletzt frohlocken die Russen, dass angesichts der Finanzkrise auch die Subventionen für alternative Energien zurückgefahren werden.
Weitere Pipelines in Planung
Putin, der das teils gegen den Widerstand etwa von Polen und gegen Umweltbedenken präzise durchgezogene Nord-Stream-Projekt als Triumph feierte, plant längst die nächste Route in den Westen. Mitte September ließ er das Megaprojekt South Stream zur Erdgas-Versorgung Südeuropas mit deutscher Unterstützung vertraglich festklopfen. Die BASF-Tochter Wintershall sowie der italienische Energiekonzern Eni und die französische EdF unterzeichneten im Schwarzmeerort Sotschi eine Vereinbarung mit Gazprom.
Die geplante Leitung durch das Schwarze Meer gilt als Konkurrenzprojekt zum EU-Vorhaben Nabucco, das Russland umgehen und die EU von Gazprom unabhängiger machen soll. Doch im internationalen Pipeline-Poker dürfte Russland alles tun, um Nabucco zu verhindern. Und längst baut das Land vor, sollte die EU die Marktmacht Russlands brechen. Das Riesenreich orientiert sich zunehmend auch auf den wachsenden Energiehunger in Asien.