Ostsee-Pipeline: Expertin hält Gaspreise für zu hoch
Stand: 04.11.2011
Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: dpa | dapd
Berlin/Lubmin - Ob die Ostsee-Pipeline zwischen Russland und Deutschland ein Erfolg wird, hängt nach Meinung der Energieökonomin Claudia Kemfert vor allem von der russischen Preispolitik ab. Der Energiekonzern Gazprom mache seine Gaspreise immer noch vom Ölpreis abhängig, was zu tendenziell höheren Preisen führe.
Im Gegensatz zu anderen Gaslieferanten koppele Gazprom den Gaspreis noch immer an den Ölpreis, sagte die Wissenschaftlerin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung der Nachrichtenagentur dpa. "Damit entzieht sich Gazprom der internationalen Marktentwicklung mit tendenziell niedrigeren Preisen." Zudem sorgten die langfristigen Lieferverträge dafür, dass die Kopplung des Gas- an den Ölpreis über Jahre "festgezurrt" werde.
"Der internationale Gasmarkt hat sich in den letzten zwei Jahren deutlich entspannt und flexibilisiert", sagte Kemfert. Inzwischen gebe es ein Überangebot an Gas, was auch die Preisentwicklung abmildere. Es sei wünschenswert, dass der Druck des Marktes Gazprom dazu bringe, seine Preise dem internationalen Niveau anzupassen. "Mehr und mehr Anbieter, auch beispielsweise aus Norwegen, haben inzwischen auf die Entwicklung reagiert und bieten faire Marktpreise an."
Gazprom ist Lieferant und Mehrheitseigner
Gazprom ist nicht nur Lieferant von künftig bis zu jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas über die Pipeline, sondern auch Mehrheitseigner der 1224 Kilometer langen Trasse durch die Ostsee, deren erster Strang am kommenden Dienstag am deutschen Anlandepunkt in Lubmin bei Greifswald in Betrieb geht. Nach früheren Angaben von Nord Stream hat Gazprom inzwischen langfristige Gaslieferverträge über jährlich rund 23 Milliarden Kubikmeter - und damit nahezu über die Gesamtkapazität des ersten Leitungsstranges - mit den Energieunternehmen Dong Energy (Dänemark), Eon Ruhrgas, Wingas, GDF Suez (Frankreich) sowie der britischen Gazprom abgeschlossen.
Trotz der hohen Gaspreise sei Nord Stream dennoch keine "Fehlinvestition". Nach Auffassung Kemferts erhöht die direkte Pipeline zwischen Russland und Deutschland die Energieversorgungssicherheit in Westeuropa. "Schwierigkeiten der Vergangenheit mit Transitländern wie der Ukraine werden umgangen." Russland habe sich zudem in den vergangenen Jahren für Deutschland als sicherer Gaslieferant erwiesen. Der Gasimport aus Russland, der in Deutschland immerhin rund 40 Prozent ausmacht, werde vor dem Hintergrund der in Europa eingeläuteten Energiewende steigen, prognostizierte Kemfert.
Eine Pipeline reicht nicht aus
"Nord Stream ist aber nicht die einzige Lösung, um den steigenden Bedarf zu decken." Vielmehr müsse auf eine Diversifikation gesetzt werden. Die Expertin sprach sich für den Bau der zu Nord Stream in Konkurrenz stehenden Nabucco-Leitung und den Ausbau von Flüssiggasimporten (LNG) aus, die mehr Flexibilität als eine feste Pipeline mit langfristigen Lieferverträgen zuließen. "Die Märkte haben sich entspannt. Da macht es Sinn, sich breiter aufzustellen."
Der Anteil von Gas an der Stromerzeugung in Deutschland könnte Kemfert zufolge deutlich steigen. "Deutschland braucht mehr Gaskraftwerke. Sie sind die eigentliche Brückentechnologie." Obwohl deutlich schadstoffreicher und unflexibler, werde der Bau von Kohlekraftwerken vorangetrieben, weil der Betrieb finanziell noch immer attraktiver sei. "Ein Kapazitätsmarkt, bei dem Betreiber von Gaskraftwerken für das Bereithalten von Strom bezahlt werden, würde Investitionen in diesem Bereich befördern", sagte Kemfert und verwies auf positive Erfahrungen in anderen Ländern wie Australien. Dort sei es gelungen, finanzielle Anreize für den Bau von Gaskraftwerken zu schaffen. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur importiert Deutschland jährlich 83 Milliarden Kubikmeter Gas.