Israel ist bald keine "Strom-Insel" mehr
Stand: 07.05.2013
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Chadera - Die Erschließung ergiebiger Erdgasfunde vor der israelischen Mittelmeerküste ändert gegenwärtig die geostrategischen Bedingungen für das bedrängte Land. Statt von teuren, ungesicherten Einfuhren von Energieträgern abhängig zu sein, wird Israel zunehmend zum Selbstversorger und potenziellem Exporteur von Gas und Strom. Politiker und Lobbyisten ringen schon heftig, welcher Anteil der neu entdeckten nationalen Ressourcen ins Ausland verkauft werden darf. Auf der Gewinnerseite ist auf jeden Fall auch die Umwelt.
"Israel ist eine Strom-Insel", sagt Eli Glickman, Präsident der staatlichen Israel Electric Corporation (IEC). Er steht im Kontrollraum des größten Kraftwerks des Landes im Küstenort Chadera und erläutert: "Wir waren bis heute völlig abhängig von eingeführter Steinkohle und Gas. Gibt es Engpässe, haben wir keine Absicherung aus den Nachbarländern." In Israel wird deshalb gelegentlich geseufzt: "Moses hat unser Volk 40 Jahre durch die Wüste geführt, um es am Ende in die einzige Gegend hier zu bringen, in der es kein Öl gibt."
Doch jüngst wurden vor der Küste die beiden hochergiebigen Erdgasfelder Tamar und Leviathan innerhalb der israelischen 200-Meilen-Zone entdeckt; und das verändert die Ausgangslage grundlegend. Als vor einem Monat das erste Tamar-Gas in die Netze eingespeist wurde, feierte dies Chefkorrespondent Ari Schavit in der liberalen Tageszeitung "Haaretz" als den "überraschenden Glücksfall des Jahrzehnts". Optimistisch malte er sich aus, wie der Gasexport die fragilen, aber strategisch entscheidenden Beziehungen zur Türkei, zu Jordanien zu den Palästinensergebieten und sogar zu Ägypten wirtschaftlich untermauern werde.
IEC-Vizepräsident Jascha Hain, zuständig für Business Development, sieht als wichtigsten Effekt die Versorgungssicherheit. Die mindestens 250 Milliarden Kubikmeter Erdgas des 80 Kilometer vor Haifa gelegenen Tamarfeldes seien ausschließlich für den Binnenmarkt bestimmt und "reichen bei unserem heutigen Gasbedarf für 50 Jahre", sagt er im Gespräch mit AFP.
Das mehr als doppelt so große Leviathanfeld könne deshalb zu guten Teilen für den Export genutzt werden: "Ich erwarte, dass wir über ein 2000-Megawatt-Tiefseekabel 2018 Strom nach Zypern und 2021 weiter über Griechenland und Italien in die ganze EU liefern werden." Leviathan, das weltweit größte seit zehn Jahren gefundene Gasvorkommen, könnte mit seinen 540 Milliarden Kubikmetern den Bedarf ganz Europas ein Jahr lang decken.
Doch davor stehen noch politische Hürden. Rund die Hälfte der 120 Knessetabgeordneten forderte die Regierung letzte Woche per Eilbrief auf, "das Parlament mit der Entscheidung über Gasexporte zu befassen, weil sie weitreichende wirtschaftliche, soziale und ökologische Folgen habe".
Initiator dieses Vorbehalts ist vor allem die Umweltlobby im Land. Denn bei der Stromerzeugung mit Erdgas werden erheblich weniger Schwefeldioxide, Stickoxide und Staubpartikel freigesetzt als beim Einsatz von Steinkohle, die heute noch über sechzig Prozent des Brennstoffs in den israelischen Kraftwerken ausmacht. Eine Entscheidung soll nun im Mai fallen.
Die außenpolitischen Strategen sowie die Konzerne aus den USA und Australien, die auf eine Vermarktung des israelischen Gasreichtums drängen, sind weiter sicher, dass ein Teil der Vorkommen in den Export geht. Auch über die Option, das Leviathan-Gas zu verflüssigen, um es mit Tankern leichter ausführen zu können, wird intensiv nachgedacht.
IEC-Vize Hain will eine mangelnde Weitsicht von Urahn Moses nicht mehr gelten lassen: "Moses hatte uns ein Land prophezeit, in dem Milch und Honig fließt. Nun fließt dazu auch reichlich Erdgas. Und die Milch wird so für uns alle deutlich billiger werden."