Hamburger Gaspreis-Streit landet beim Bundesgerichtshof
Stand: 21.03.2011
Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: dpa
Hamburg - Im Frühjahr 2005 wehrten sich die Verbraucherzentrale Hamburg und 52 Gasverbraucher gegen höhere Gaspreise und traten damit eine Lawine los - denn danach bekam die Justiz in ganz Deutschland viel zu tun: Tausende von Verbrauchern nutzen juristischen Mittel, um gegen Preiserhöhungen ihrer Versorger vorzugehen. Über die Sammelklage, die ursprünglich die Prozesslawine auslöste, wurde noch immer nicht rechtskräftig entschieden. Jetzt liegt der Fall beim Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG). Zwei ähnlich gelagerte Fälle will der Regionalversorger E.ON Hanse jetzt dem Bundesgerichtshof (BGH) vorlegen.
"Wir haben uns entschieden, in zwei Fällen den Weg der Revision zum BGH zu gehen", sagte E.ON-Hanse-Sprecherin Iris Franco Fratini der Nachrichtenagentur dpa in Hamburg. Wann das höchste deutsche Gericht entscheidet, ist jedoch noch unklar; die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Das Verfahren hat im Laufe der Jahre einige überraschende Wendungen genommen, und der Ausgang ist ungewiss. Allerdings hat die Verbraucherseite mehr juristische Geländegewinne erzielt als das Versorgungsunternehmen.
"Billigkeit" und "billiges Ermessen"
Zunächst lautete der Vorwurf der Gaskunden, E.ON Hanse habe sich unangemessen bereichert und die Preise in den Jahren 2004 und 2005 weit stärker als angemessen erhöht. Das sollte das Gericht überprüfen. Das Bürgerliche Gesetzbuch BGB hält für solche Fälle den Paragrafen 315 bereit, in dem die "Billigkeit" oder das "billige Ermessen" eines Vertragspartners gefordert wird. Im Klartext: Der Gasversorger darf seine Preise nur so erhöhen, wie seine Kosten gestiegen sind - weil er etwa selbst mehr für das Gas bezahlen muss.
E.ON Hanse schwor Stein und Bein, dass nur erhöhte Bezugskosten weitergegeben wurden. Die Verbraucher glaubten kein Wort und forderten Details der Kalkulation, die der Versorger nur widerwillig herausrückte, aus Angst vor unerwünschten Einblicken der Konkurrenz. Doch als die Richter sich über die Verträge beugten, fiel ihr Blick auf die Klausel, mit der E.ON Hanse die Preisänderungen begründete. Dort war zu lesen, der Versorger sei berechtigt, seine Preise an die "Preisentwicklung auf dem Wärmemarkt" anzupassen. Das sei zu unbestimmt, benachteilige die Kunden, sei nicht nachprüfbar und daher unwirksam und nichtig, befanden die Richter. Die "Billigkeit" müsse nicht mehr überprüft werden.
Urteil als Blaupause für andere Gerichte
Das war ein Tiefschlag für die Juristen von E.ON Hanse. Denn das Urteil des Hamburger Landgerichts vom Oktober 2009 lief darauf hinaus, dass der Versorger die Preise gar nicht mehr erhöhen durfte. Die Verbraucher konnten ihr Glück kaum fassen: Sie hatten plötzlich einen Festpreisvertrag, den sie gar nicht angestrebt hatten. Alle Einwände von E.ON Hanse wischten die Richter vom Tisch: Der Versorger hätte die Verträge kündigen können, wenn er sein Gas zu preisgünstig oder sogar unter den eigenen Kosten hätte abgeben müssen. Hunderte von Amtsgerichten benutzten das Urteil als Blaupause; E.ON Hanse verlor Prozesse in Serie.
Zunächst schien es, als würde sich auch das OLG in der Berufung dieser Meinung anschließen, aber dann kam eine überraschende Wende: Vielleicht habe E.ON Hanse auf dem Weg einer "ergänzenden Vertragsauslegung" doch das Recht, die Preise zu erhöhen. Nun soll ein Gutachten helfen. "Eine Rolle rückwärts, die uns Jahre zurückwirft", klagte die Verbraucherzentrale, die sich kurz vor dem Ziel wähnte. Amts- und Landgerichte urteilten seitdem weiter im Sinne des ersten Urteils und fügten E.ON Hanse weitere Niederlagen zu. Allein in Hamburg sind noch 400 Verfahren vor den Gerichten anhängig.