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Experte: Europas Gaswirtschaft droht "schwarze Ära"

Bildquelle: ©Adobe Stock / Text: dpa-AFX

Wien - Weil der Gasbedarf seit Mitte 2010 fällt, drohe Europas Gaswirtschaft eine "schwarze Ära". Zu dieser Einschätzung gelangte Gasexperte Jonathan Stern von der Oxford Universität am Montagabend bei einem Energie-Dialog der E-Control in Wien. Die goldene Gas-Ära in Europa dauerte ein Viertel Jahrhundert von 1980 bis 2005, spätestens seit der Wirtschaftskrise 2008 verändere sich der Gasmarkt aber grundlegend.

80 Prozent des europäischen Gasbedarfs entfielen auf sieben europäische Märkte - Großbritannien, Deutschland, Italien, Niederlande, Frankreich, Spanien und die Türkei, so Stern. In der goldenen Gas-Ära stieg der Gasbedarf in Europa kontinuierlich an: 1990 lag er bei 300 Milliarden Kubikmeter Gas, 15 Jahre später bei über 500 Milliarden Kubikmeter.

Die Aussichten trübten sich aber zunehmend ein: Die Internationale Energieagentur (IEA) senkte seit dem Jahr 2000 ihre Langzeit-Prognosen über den europäischen Gasverbrauch bis zum Jahr 2030 jährlich - eine Ausnahme war die Prognose 2011, berichtete der Gasexperte. Der Gasbedarf Europas werde bis 2020 nicht auf das Niveau von 2010 zurückkehren - auch im Vorjahr habe es einen Rückgang gegeben, was besorgniserregend sei.

Uneinheitliche Entwicklung auf den europäischen Gasmärkten

Die Entwicklung auf den europäischen Gasmärkten sei höchst unterschiedlich, betonte er. So wird seiner Ansicht nach Gas bei der Stromerzeugung in Großbritannien eine große Rolle spielen, da etwa ein Drittel der Stromerzeugungskapazitäten in den kommenden fünf Jahren geschlossen würden. Im Gegensatz dazu dürfte Gas in Deutschland bei der Stromerzeugung nur eine marginale Rolle spielen, da vor allem auf erneuerbare Energien und die derzeit wettbewerbsfähigere Kohle gesetzt werde. Wachstumspotenzial sieht der Oxford-Experte neben Großbritannien auch bei der Verstromung von Gas in Polen und der Türkei - allerdings nur für den Fall, dass die Gaspreise fielen.

Gasproduktion rückläufig

Ein weiteres Problem für Europa sei die rückläufige Gasproduktion auf dem Kontinent - ausgenommen in Norwegen. Stern schätzt den Rückgang der europäischen Gasproduktion bis 2020 auf insgesamt 50 bis 70 Milliarden Kubikmeter. Wie stark dieser Rückgang kompensiert werde, hänge von der Entwicklung des Gasbedarfs ab. Im Jahr 2011 lag der Gasbedarf in den europäischen OECD-Staaten inklusive der Türkei und Norwegen bei 511 Milliarden Kubikmetern. 53 Prozent davon wurden durch Eigenproduktion abgedeckt, 30 Prozent kamen über Pipelines vor allem aus Russland, während die restlichen 17 Prozent durch Flüssiggas-Importe (LNG) gedeckt wurden.

Eine Gas-Revolution wie in den USA, die durch den Abbau von unkonventionellem Gas (Schiefergas) ausgelöst wurde, erwartet Stern für Europa nicht, die Abhängigkeit von Gasimporten werde zulegen.

South Stream ist kein Bluff

Der Bau der russischen Gaspipeline South Stream sei trotz der verlautbarten finalen Investitionsentscheidung Ende 2012 weiterhin unsicher, meinte Stern. Im sogenannten Südlichen Korridor seien noch wichtige Fragen, wie etwa der tatsächliche Gasbedarf bzw. die Herkunft des Gases, weiterhin offen. Er habe Jahre damit verbracht, die Verantwortlichen in Brüssel zu überzeugen, dass die South Stream kein Bluff der Russen sei, sei aber auf taube Ohren gestoßen. "Die Russen spielen nicht Poker, ihr Spiel ist Schach", so der Oxford-Experte. Alle Pipeline-Projekte in diesem Gebiet würden aber sehr langsam entwickelt, meinte Stern. Er geht jedoch davon aus, dass noch in diesem Jahrzehnt aserbaidschanisches Gas nach Europa kommen wird.

Stern ist überzeugt, dass der Ölpreis weiterhin eine Rolle für den Gaspreis spielen wird, aber nicht mehr die vertragliche Bindung wie sie derzeit in den langfristigen Gaslieferverträgen verankert sei. Eine große Frage werde sein, ob man Investitionen in die Gasinfrastruktur auf Basis der Spot-Markt-Preise, die derzeit rund 30 Prozent unter den Öl-gebundenen Gaspreisen liegen, vornehmen wird können. Die Umwälzungen auf den Gasmärkten würden voranschreiten, 2013 dürfte mehr als die Hälfte des verkauften Gases in Europa zu Spotmarktpreisen erfolgen.

Preise driften auseinander

E-Control-Vorstand Walter Boltz erinnerte daran, dass die USA und Europa traditionell ähnliche Gaspreise hatten, nun würden die Preise seit einigen Jahren auseinanderdriften. Im Vorjahr betrug der Gaspreis in den USA phasenweise nur ein Fünftel des europäischen. Dazu komme, dass Europa noch immer zu wenig für Effizienz tue und der Binnenmarkt zu wenig ausgenutzt werde. So kostete im vergangenen November die Megawattstunde (MWh) Gas in Tschechien rund 37 Euro, während in Österreich um die 25 Euro bezahlt wurde. "In einer Situation, wo es keinen Engpass gibt, darf so etwas eigentlich nicht passieren", betonte Boltz.